Mittwoch, 16. Juli 2014

Gladiatoren

Nach der fünften Etappe der diesjährigen Tour de France von Ypres nach Arenberg über sieben Kopfsteinpflaster Passagen mit dem denkbar schlechtesten Wetter für Anfang Juli wurden viele Stimmen laut dass die Etappe zu schwer gewesen sei. Pavé hätte in der Tour de France nichts zu suchen und sollte den Frühjahrsklassikern und den Spezialisten vorbehalten bleiben. Zu gefährlich. Spektakel auf Kosten der Fahrer. Unmenschlich.

Aber genau darum geht es doch. Darum ging es schon immer. Deshalb wurde die Tour de France erfunden. Des Spektakel Willens. Um Geschichten von unvorstellbaren Leistungen und Leiden zu erzählen und Zeitungen zu verkaufen. 1910 rief Oktave Lapize den Organisatoren ein "Ihr verdammten Mörder" entgegen, nachdem er den Col d'Aubisque überquert hatte, auf unbefestigten Naturstraßen und auf einem Rad ohne Schaltung. Aber gefahren sind sie sind sie doch. Damals wie heute.

Am Ende sind es Profisportler, Entertainer, Gladiatoren. Der here olympische Gedanke vom fairen Sport, dem schneller höher, weiter alleine lässt sich nicht verkaufen. Nur das Spektakel lockt die Massen an die Straßen, füllt die Seiten der Zeitungen und erhält Sendezeit der Fernsehanstalten, was wiederum Sponsoren veranlasst Geld in die Teams zu investieren. 

Drei Wochen Radrennen. Jeden Tag volles Tempo. Keine Geschenke. Berge. Schlechtes Wetter. Wind. Tag für Tag. Machen da 13 Kilometer Pavé einen Unterschied? Und dem Vernehmen nach sind auf diesen Passagen recht wenige Strürze passiert. Gerappelt hat es dafür umso öfter schon davor. Auf Asphalt. Das prominenteste Opfer der regennassen Strassen war sicherlich Chris Froome. Der Vorjahressieger. Nach einem ersten Sturz auf der vierten Etappe ist er mit einem, wie sich später herausstellte, angebrochenen Handgelenk weiter gefahren. Das sich so das Rad nicht mehr wie gewohnt steuern lässt ist naheliegend. Der nächste Sturz auf der fünften Etappe war dann vielleicht unvermeidlich. Trotzdem hat er es versucht und ist nochmal aufs Rad. Dann ein weiterer Sturz. Bei einem der beiden Stürze ist dann auch die andere Hand gebrochen und beendete Frooms Mission der Titelverteidigung. Oder Contador, der nach dem Sturz in den Vogesen mit einem gebrochenen Schienbein (!!) nochmal 20 km (!!!) weiter gefahren ist. Oder Andy Schleck, der nach dem Sturz auf der 3. Etappe mit gerissenen Bändern und einem zerstörten Meniskus noch bis ins Ziel gefahren ist. Oder heute Talansky, der sich vor dem Besenwagen ins Ziel gequält hat und damit fast höhere Medien Präsenz bekommen hat als der Sieger Galopin.

Keine Pavé Passage, keine noch so schwere Bergetappe stiftet mehr Leid als die Fahrer sich selber auferlegen. Ein Rennen ist immer so schwer, wie die Fahrer es machen, heisst es. Und es ist auch Teil eines Radrennens, insbesondere einer Rundfahrt, sich am Anfang aus jedwedem Trouble herauszuhalten und nicht zu strürzen. Kann es trotzdem passieren? Ja. Bernard Hinault hat mal gesagt, dass man aus genau zwei Gründen stürzt, entweder man macht einen Fehler oder man wird geschubst. Und bei Regen zu schnell in einen Kreisverkehr zu fahren gehört ohne Frage zur ersten Kategorie.

Als Zuschauer fand ich die fünfte Etappe nach Arenberg Klasse. Nibali ist gefahren wie ein wahrer Champion. Im gelben Trikot attakiert als alle anderen gezögert haben. Das war doch mal etwas anderes als das Abwahrten bis zum letzten Kilometer der Bergankunft, das kühle Berechnung von Chancen, das langweilige Saftey First.

Jetzt müssen die im Rennen verbliebenden Sieganwärter alles auf eine Karte setzen. Eine epische Attacke weit vor dem Ziel. Am ersten Berg des Tages. Oder zumindest wie 2011 Andy Schleck, der 60 Kilometer vor dem Ziel der 18. Etappe von Pinerolo nach Galibier Serre-Chevalier attakiert hat und solo bis Ziel gefahren ist. So fährt man Radrennen. Und alleine aus dem Grund bleibt zu hoffen dass Andy wieder zu alter Stärke zurückfindet. 

Die zweite Woche der 101. Tour de France hat gerade begonnen und ich hoffe dass es mit dem epischen Spektakel genauso weitergeht wie es vor 10 Tagen in England angefangen hat. Lang lebe das Spektakel, lang leben die Gladiatoren.

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