Freitag, 24. November 2017

PinarellNO - Über E-Rennräder und sexistische Werbung

Waren es zunächst "normale" Fahrräder denen ein Elektromotor eingebaut wurde, folgten bald MTB's, Citi-, Klapp-, Kinder-, Lasten- und Liegeräder. Einzig das Rennrad schien immun gegen die Elektrifizierung. Was vielleicht daran liegt, dass bereits wenig trainierte Fahrer in der Ebene nur mit der Kraft ihrer Beine eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 25 km/h erreichen können, die Geschwindigkeit also, bei deren Erreichen die elektrische Unterstützung abgeschaltet wird. Darüber kann man Rennradfahrern und -Fahrerinnen an sich wohl einen gewissen sportlichen Ehrgeiz unterstellen, der mit einem Zusatzmotor irgendwie nicht in Einklang zu bringen ist. Gleichwohl gibt es sicher eine Nische, in der ein E-Rennrad durchaus Sinn und vor allem Spaß stiftet. Dies in der Werbung zu erklären ist wahrscheinlich nicht ganz einfach.

Pinarello hat sich daran in dieser Woche mit einer Kampagne für sein brandneues E-Rennrad Nytro versucht und das Radsport Internet fast zum überkochen gebracht. In dem Text hieß es:

"Nytro aims at a wide target, from the one that has no time to train but would never miss a weekend ride with friends, to women who would like to follow easily the men's pace, or even the ones who desire to experience cycling as a new way of life, climbing easily and going downhill safely, enjoying every single minute on the bike.”

In der gleichzeitig erschienenen Instagram Anzeige gab "Emma, 24, couple rider" dieses Statement ab:

“I’ve always wanted to go cycling with my boyfriend but it seemed impossible. Soon everything will become possible.”

Damit hat sich Pinarello in eine lange Reihe von sexistischen Fahrrad Werbungen eingereiht, die Frauen entweder als sexy Beiwerk oder als nicht ernstzunehmende Randgruppe darstellen. Soll es ein Zeichen von Wertschätzung sein, wenn man potenzielle Käuferinnen eines Rades für über  6.000 Euro als schwach und unfähig darstellt? Als Belastung für das sportliche Vergnügen und Klotz am Bein des Macho-Freundes? Oder sollte die Anzeige vielmehr die Herren der Schöpfung ansprechen, damit diese ihrem kleinen Frauchen ein elektrisches Pinarello kaufen? Warum man diese Kampagne gar nicht schlimm genug finden kann, erklärt Amanda Batty ausführlich in einem Blogpost. Amanda ist selber Downhill- und Werbe-Profi und führt aus, dass die Aussage in der Werbung nichts anderes als pure Absicht sein kann. Das ein solcher "Fehler" in einer konzertierten Werbeaktion über viele Kanäle nicht aus Unachtsamkeit sondern aus Kalkül passiert. Ein weiterer guter Artikel ist auf CyclingTips erschienen. Unbedingt lesen!

Inzwischen sind die Bilder auf allen Pinarello Kanälen verschwunden und es wurde eine knappe Entschuldigung nachgeschoben. Was bleibt ist aber vor allen der Hashtag #PinarellNO und für mich ein weiterer Grund, kein Pinarello zu kaufen (neben hässlich, zu teuer und Team Sky).


Neben dem Motiv mit der Frau gab es auch eines mit "Frank, 55, weekend rider". Nicht sexistisch, aber auch nicht viel besser:


Um dem ganzen ein gute Seite abzugewinnen: Die zahlreichen Tweets, die die Anzeigen teilweise ordentlich auf die Schippe genommen haben waren gute Unterhaltung.
Daher hier ein kleines Best of PinarellNo-Tweets:










Links:
Pinarello Homepage

Samstag, 18. November 2017

NO TALENT. TOTAL LOSERS. VERY SAD!

Ha, das Radmagazin Tour berichtet in der aktuellen Ausgabe 12/2017 über Strava-isten, die sich doch tatsächlich virtuell messen und KOMs jagen. Rowdies! Rücksichtslose Egomanen! Seelenlose Radzombies! tönt es gleich aus der Radsportblogospähre.

Also ich glaube ja, dass diejenigen, die den virtuellen Wettbewerb als die Ausgeburt des Teufels ansehen, selber nur nix drauf haben und beleidigt sind, dass sie es einfach nicht schaffen auch nur das niedrigst hängende Krönchen zu gewinnen. In bestem Trump-Style könnte man das so kommentieren:

"Some Freds are whining about the great performance of marvelous Stravaists. 
NO TALENT. TOTAL LOSERS. VERY SAD!"

Embed from Getty Images

Übrigens zählt man Strava KOMs nun wirklich nicht einzeln, sondern in Seiten! Phil Gaimon etwa hat deren 50, Thibout Pinot kommt auf 53, Joe Dombrowski auf 38 und Laurens ten Dam hat 84! Da sind meine 11 Seiten im Vergleich ziemlich mickrig.

Dabei zeigt der Artikel in der Tour eigentlich in schöner Weise die Bandbreite auf, in der man das Netzwerk nutzen kann. Manche Fahrer haben besonders ausgefallene KOMs (am steilsten Berg, auf der kleinsten Insel, ohne zu treten, im Fußballstadium). Andere Fahrer haben nichts an der KOM-Jagd, pendeln aber lange Strecken und organisieren sich über Strava. Manche berichten von Freundschaften im echten Leben, die es ohne die initiale virtuelle Begegnung nicht geben würde. Wieder andere nutzen Höhenmeter Rankings als Motivation und als Ziel und ja, es gibt auch einen Fahrer, der den Versuch einen KOM zu verbessern im Krankenhaus beendete. Letzteres ist sicher eine Dummheit, aber wie sagt man: "Shit happens"! Ist ein KOM einen solchen Ausgang wert? Nein, mit Sicherheit nicht. Aber das dürfte die absolute Ausnahme sein und gehört dann wohl dazu.

Egal wie man Strava nutzt, solange es dem Einzelnen Spass macht und niemand gefährdet wird, ist gegen keine der Spielarten etwas einzuwenden. Kann man andere Vorlieben seltsam finden? Mit Sicherheit. Ich finde auch so einiges höchst erstaunlich. Es scheint etwa tatsächlich Leute zu geben, die für ein Segment trainieren, die den Angriff auf die Bestzeit als Saisonhöhepunkt im Kalender stehen haben. Andere fahren jedes Wochenende unglaubliche Distanzen und schütteln die Brevets nur so aus dem Ärmel, nach dem Motto: Lang ist das neue Schnell (Ist das eine jetzt besser als das andere?). Wieder andere entwickeln eine Obsession anderen Fahrern die virtuellen Krönchen streitig zu machen. (Ich habe sogar mal einen Stalker blockiert, der regelmäßig einen Tag nach mir Segmente in Angriff nahm und gezielt meine KOM Liste abklapperte.) 

Das interessante ist die Mischung aus Spass und Ernst. Denn natürlich sind die Bestenlisten auf Strava, egal ob es um Geschwindigkeit, Höhenmeter oder Distanzen geht, nur virtuell. Niemand bekommt einen Profivertrag aufgrund herausragender Strava-Leistungen. Trotzdem macht es Spaß und motiviert. Was ist dagegen einzuwenden? Jeder nach seinem Geschmack.

Wer an der Wettbewerbskomponente von Strava nichts findet, hat alle Möglichkeiten dies auszublenden. Da sind zum einen die Einstellungen zur Privatsphäre, über die man sich in dem Netzwerk weitgehend unsichtbar machen kann. Unter anderem kann man alle (neuen) Aktivitäten grundsätzlich von den Bestenlisten ausnehmen. In den Anzeige Optionen kann man in der Standardansicht nur eigene Leistungen auf Segmenten anzeigen lassen. Weiterhin ist es eine gute Idee die Live-Segmente auf dem Radcomputer einfach auszuschalten, dann muss man auch nichts wegdrücken, was einen nervt.

Am Ende, ob man Strava mag oder nicht, ob man KOMs fährt oder nicht, ohne Radfahren geht es nicht. Also geht raus und habt Spaß auf dem Rad!

Links:

Sonntag, 12. November 2017

BSX Insight - Von Raketentechnologie zum Muster ohne Wert in drei Jahren?

Über den BSX Insight habe ich hier schon einige Male geschrieben. Das erste mal im April 2014 als die Kickstarter Kampagne lief. Der BSX Insight wurde als nicht-invasives Laktatmessgerät beworben, zur Bestimmung des FTP-Wertes und zur kontinuierlichen Überwachung während des Trainings. Draussen wohlgemerkt, auf der Straße und nicht nur im Labor und auf der Rolle! Für die Kickstarter Kampagne war ich zu spät dran, aber zur Pre-Order hatte es gereicht. Die Auslieferung wurde mehrmals verschoben, im April 2015 war es dann endlich so weit und die Geräte wurden ausgeliefert.


Nun muss man festhalten, dass der BSX überhaupt gar kein Laktat misst, sondern die Sauerstoffsättigung in der Muskulatur. Licht-Impulse aus dem Infrarot-Spektrum werden unter die Haut gesendet und über einen Detektor wird die Reflexion gemessen. Abhängig von der Sauerstoffsättigung fällt die Reflexionsrate unterschiedlich aus. Bei steigender Belastung verbraucht die Muskulatur mehr Sauerstoff, die Sättigung nimmt ab, wogegen die Laktatkonzentration zunimmt. Die beiden Werte korrelieren also negativ. Dies nutzt der BSX Insight um über einen klassischen Stufentest (alle 3 Minuten plus 20 Watt bis zur Ausbelastung) den FTP Wert zu bestimmen.


Die Funktion der kontinuierlichen Überwachung der Sauerstoffsättigung stand bei Auslieferung noch nicht zur Verfügung, obwohl es in der Kickstarter Kampagne entsprechend dargestellt wurde. Man schaffte es auch nicht dies später per Firmware-Update nachzuliefern, statt dessen gab es eine zweite Generation, bei der Änderungen an der Hardware die kontinuierliche Messung erst ermöglichten. Der Austausch war leider nicht kostenlos aber mit 80 USD (plus Versand und Zoll) noch erträglich. Ende 2015 hatte ich somit endlich das Gerät mit allen Funktionen, die die Kickstarter Kampagne 2014 versprochen hatte, in der Hand.

Alles in allem hat der Spaß rund 620 Euro gekostet. (Der Kaufpreis für die erste und zweite Generation, internationaler Versand und rund 160 Euro Zoll, autsch!)

Das ist eine Menge Geld. Auf der anderen Seite konnte ich während dieser Zeit meine Trainingsfortschritte standardisiert messen und bis heute ganze elf Stufentests fahren. Das sind 56 Euro pro Test. So günstig und unkompliziert bekommt man das sonst nicht.

Der BSX Insight funktioniert allerdings nur im Zusammenspiel über die App auf dem Smartphone und der Webplattform (oder dem Wahoo ELEMNT BOLT). Die App ist notwendig um das Gerät zu starten, die Webplattform um die Daten auszulesen und auszuwerten. Ohne diese Webplattform taugt das Gerät mit seinen 27 Gramm  noch nicht einmal als Briefbeschwerer. Das wäre natürlich nicht weiter schlimm, wenn nicht der Ende des Supports und der Webplattform für August 2018 angekündigt worden wäre.

An der Stelle muss man etwas weiter ausholen. Im Oktober 2016 hat BSX eine weitere Kickstarter Kampagne gestartet, um die Finanzierung eines Hydration-Sensors (LVL, wird Level ausgesprochen) auf den Weg zu bringen. Damals habe ich geschrieben:

Das Armband soll Mitte 2017 verfügbar sein, das ist recht lange hin, aber nach den Verzögerungen mit dem ursprünglichen BSX-Insight ist zu hoffen, dass BSX mit der gesammelten Erfahrung das Ziel diesmal halten kann.

Der finanzielle Einsatz war vergleichsweise gering, ab 99 USD war man dabei. Die Kampagne war ein voller Erfolg und sammelte rund 1,2 Millionen USD ein. Ein Vielfaches des Ziels von 50.000 USD.

Leider hat sich inzwischen herausgestellt, dass die Angaben über den Fortschritt des LVL zum Zeitpunkt der Kickstarter Kampagne nicht nur optimistisch sondern schlichtweg falsch waren. Es wurde der Eindruck erweckt, dass es funktionierende Hardware und Software gäbe und es weitgehend nur noch um die Minimierung der Bauteile ginge. Nachdem über Monate hinhaltende Kampagnen Updates veröffentlicht wurden, verschob man im August diesen Jahres die voraussichtliche Lieferzeit um ein ganzes Jahr auf Mitte 2018. Die einzige gute Nachricht war, dass sich mit Samsung Catalyst ein finanzkräftiger Riskiokapitalgeber an dem Projekt beteiligte.

Vor einigen Tagen hat Ray Maker einen langen und wie immer sehr detaillierten Artikel über die Misere und die falschen Versprechungen veröffentlicht. Die Situation lässt sich in einem Wort zusammenfassen: desaströs! Ob das Produkt jemals geliefert wird? Mein Erwartungswert tendiert inzwischen gegen null, aber vielleicht gibt es ja noch eine Überraschung. Das Ärgerliche bei der ganzen Sache ist dabei nicht das potentielle Scheitern einer Kickstarter Kampagne, das kann passieren. Schließlich handelt es sich um Risikokapital, um eine Investition in eine Idee, nicht um den Kauf eines fertigen Produktes. Ärgerlich ist, dass die Kampagne ganz offensichtlich auf Unwahrheiten basierte, auf falschen und unhaltbaren Versprechungen. Die Kommentare auf der Kickstarter Seite sprechen ganz offen von Betrug, es gibt sogar schon eine Petition für die Erstattung der Investments, die Erfolgsaussichten dürften aber gegen null tendieren.

Was hat das jetzt mit dem einzigen anderen Produkt der Firma zu tun? Nun, man hat sich scheinbar entschlossen, alle Kräfte auf den LVL zu setzten und den BSX Insight einfach eingestellt. Man kann das Gerät nicht mehr kaufen und ob die Webseite und die App nach August 2018 noch arbeiten werden ist derzeit fraglich. Und das ist wirklich eine herbe Enttäuschung. Der BSX funktioniert und hat mit dem Moxy Sensor nur einen einzigen Mitbewerber auf dem Markt, der aber eine etwas andere Zielgruppe anspricht.Warum um alles in der Welt stellt man ein solches  Produkt ein?

Ich habe BSX kontaktiert und einige Fragen zur Zukunft des BSX Insight gestellt aber nur eine generelle, ausweichende Antwort erhalten, dass auf der Webseite bald mehr Informationen veröffentlicht werden.

Moxy bietet übrigens für alle BSX Nutzer eine Inzahlungnahme ihrer Geräte an. Wer seinen BSX einsendet bekommt 150 USD Rabatt auf einen Moxy. Für Käufer aus Deutschland bedeutet dies aber immer noch einen Kaufpreis von rund 750 Euro inklusive Versand und Zoll (letzteres geschätzt). Dafür gibt es dann aber auch ein Gerät, dass ganz ohne App und Webplattform unabhängig von der Herstellerfirma und dem Internet funktionieren wird, dass nicht mehr an eine Person gebunden ist und das seine Daten ganz offen hergibt, dass allerdings auch sehr viel mehr Input verlangt um die Daten zu verstehen und auszuwerten. Der BSX Insight zielte mehr auf den Endnutzer, der Moxy richtet sich an Sportwissenschafter, Trainer und Sportler, die sich mit der Materie auf wissenschaftlicher Ebene auseinandersetzen wollen. Ray Maker hat in seinem Post auch dazu Stellung genommen.

In dieser Geschichte ist das letzte Kapitel sicher noch lange nicht geschrieben. Ob der BSX Mitte 2018 ein Muster ohne Wert sein wird und nach nur DREI Jahren das Ende seines Lebenszyklus erreicht hat? Oder ob sich doch noch ein Lösung findet? Man wird sehen. Ebenso ob der LVL tatsächlich seinen Weg an die Handgelenke der Nutzer finden wird. Zumindest eines wird deutlich: Crowdfunding ist ein Risikokapital Investment, dass man nicht tätigen sollte, wenn man nicht bereit ist das Geld auch abzuschreiben.


Vorher auf Unterlenker.com:
Mobile Laktatmessung, sehr cool
Cutting Edge
BSX Insight - Handling der Daten mit Golden Cheetah
LVL Kickstarter Kampagne

Weitere Links:
DC Rainmaker über die aktuelle BSX / LVL Situation
DC Rainmaker über das BSX Trade In Angebot von Moxy
BSX Trade In von Moxy Homepage
LVL Kickstarter Kampagnen Seite auf Kickstarter

Sonntag, 5. November 2017

Startverbote für Ex-Doper

Die übliche Durchsage am Start eines Lizenzrennens geht in etwa so: "Achtung Fahrer, Euer Rennen geht über 10 Runden oder 60 Kilometer. Gefahren wird nach der Sportordnung des Bundes Deutscher Radfahrer. Die Straßenverkehrsordnung ist einzuhalten. Überrundete oder aussichtslos im Rennen liegende Fahrer können aus dem Rennen genommen werden. Es wird auf eigene Rechnung und Gefahr gefahren. ... Der Start erfolgt in fünf ....".

Am 1. Mai zum Start des Seniorenrennens in Offenbach an der Queich dauerte die Durchsage etwas länger. Der Sprecher wies darauf hin, das der ausrichtende Verein RV Vorwärts 1904 Offenbach seit vielen Jahren eine strikte Anti-Doping Haltung verfolgt und überführte Dopingsünder nicht am Start seines Rennens sehen möchte. Weiter hieß es, dass man aus diesem Grund mehreren Fahrer mit abgelaufenen Sperren den Start verweigert hat. Einer der Fahrer hätte aber rechtliche Schritte eingelegt und da man sich als kleiner Verein dem Risiko einer gerichtlichen Auseinandersetzung nicht aussetzen kann, würde der betreffende Fahrer daher am Start stehen. Ob es unter diesen Voraussetzungen 2018 ein weiteres Seniorenrennen geben wird, sei fraglich, auch weil ansonsten das Engagement des Hauptsponsors zur Disposition stehen würde.

Was macht man in solch einem Moment als Fahrer? Morgens um kurz nach acht und nach 150 km Anfahrt, einen kurzen Moment vor dem Start. Das Rennen gar nicht erst beginnen? Laut protestieren? Den betreffenden aber unbekannten Fahrer ausbuhen? Tatsächlich hat wohl ein einzelner Fahrer seine Nummer zurückgegeben, die anderen 80 sind gestartet.

Senioren Rennen, nicht in Offenbach
Seit diesem Tag denke ich darüber nach, ob der Ausschluss eines Fahrers ein richtiger und wichtiger Schritt im Kampf gegen Doping im Sport ist oder ob es sich um Selbstjustiz handelt. Denn sportrechtlich gilt ein Fahrer nach einer abgelaufenen Dopingsperre natürlich als rehabilitiert. Jemand wird positiv getestet, bekommt eine Strafe nach deren Ablauf er wieder am normalen Sportbetrieb teilnehmen kann. Das ist nicht anders als im "normalen" Strafsystem, dass ja auch nicht auf maximale Vergeltung abzielt, sondern darauf, Straftäter zu läutern und wieder in die Gesellschaft einzugliedern.

Wenn Vereine und Veranstalter Sportler mit abgelaufenen Dopingsperren pauschal von ihren Veranstaltungen ausschliessen, ist das unter mehreren Gesichtspunkten problematisch:
  • Zunächst ist da die gar nicht so geringe Möglichkeit von fälschlicherweise positiven Tests. Sich gegen ein solches Testergebnis zur Wehr zu setzen ist teuer, die Öffnung der B-Probe kostet genauso Geld wie Anwälte oder, als letzte Möglichkeit, ein Prozess vor dem CAS. Diese Mittel wird ein Amateursportler wahrscheinlich eher selten aufbringen wollen oder können. Die Möglichkeit, dass ein Fahrer unschuldig verurteilt wurde, muss zumindest in Betracht gezogen werden. (etwa Interview Perikles Simon auf Medscape oder ntv)
  • Weiterhin gibt es solche und solche Dopingvergehen. Ein positiver Test auf EPO oder Wachstumshormone hat eine andere Qualität als ein positiver Test durch möglicherweise verunreinigte Nahrungsergänzungsmittel.
  • Von Berufssportlern kann man sicherlich erwarten, dass diese jedes scheinbar noch so belanglose Medikament auf verbotene Substanzen überprüfen. Bei Freizeitsportlern kann man durchaus Verständnis haben, wenn doch mal ein ephedrinhaltiges Erkältungsmittel eingenommen wird. (Spiegel Online)
  • Natürlich trägt der Sportler immer die finale Verantwortung und jeder kann Nein sagen, wenn Pillen angeboten und Spritzen aufgezogen werden. Trotzdem trifft es zu oft einzig und allein das schwächste Glied, den Sportler. Ärzte, Pfleger, Teammanager, Agenten und andere, die Doping organisieren und dazu verleiten, kommen in der Regel davon. Wahrscheinlich trifft dies im Freizeitbereich aber weniger zu und die individuelle Schuld mag dort höher sein.
  • Und nicht zu letzt: Menschen treffen schon mal falsche Entscheidungen und machen Fehler. Wer noch nie in seinem Leben drauf hoffen musste, dass andere Nachsicht walten ließen und eine zweite Chance einräumten, der führt wahrscheinlich ein ziemlich trauriges und langweiliges Dasein. Ist es nicht viel wichtiger aus Fehlern zu lernen als niemals welche zu machen?
Wenn in all diesen Fällen ein universelles Startverbot ausgesprochen wird, schert man sehr unterschiedliche Situationen über einen Kamm. Die Differenzierung im Strafmaß, die Betrachtung des Einzelfalles, die in einem Dopingverfahren Anwendung findet (oder zumindest Anwendung finden sollte), geht dann verloren. Statt dessen werden Sportler stigmatisiert.

Auf der anderen Seite ist es aber vielleicht gerade notwendig die Abschreckung zu erhöhen und jedem, der auch nur darüber nachdenkt zu unlauteren Mitteln zu greifen, klar zu machen, dass Doping falsch ist und nicht akzeptiert wird.

Heutzutage heisst es oft, dass der Radsport sehr viel sauberer geworden ist und die Zeit der Exzesse vorbei sei. Es gibt den biologischen Passport, die MPCC, die unabhängige Anti-Doping Stiftung der UCI (CADF) und jeder Profi versichert mit unschuldigem Dackelblick, dass alles mit rechten Dingen zugeht.

Das Narrativ einer neuen Generation junger und sauberer Sportler steht leider auf tönernen Füßen. Floyd Landis sagte kürzlich gegenüber Cycling News, dass lediglich einige Bruchstücke neu arrangiert wurden, aber das Spiel immer noch das Gleiche ist, dass sich nichts geändert hat. Paul Kimmage schreibt über die immer noch allgegenwärtige Omerta. In Icarus wird gezeigt, dass Doping auch heute noch unter staatlicher Obhut stattfindet und Kontrollen zu umgehen sind. Im Amateursport sieht es nicht besser aus, in der FAZ schreibt Ralf Meuten über "Herrn F" und zeigt die Schwächen des Anti-Dopingsystems deutlich auf. In der RennRad ist vor kurzem ein detaillierter und vielbeachteter Artikel über Doping im Hobbysport erschienen. Die Möglichkeiten für entsprechend motivierte Freizeitsportler sind nahezu unbegrenzt. Es gibt nur selten Wettkampfkontrollen, keine Trainingskontrollen, kein Passport und keine Bluttests.

All das macht deutlich, dass lange noch nicht genug getan wird um Doping einzudämmen. Wenn man nun als Radsport-Verein unzufrieden ist mit dem, was NADA und BDR für den sauberen Sport tun, wenn man Jugendlichen Vorbilder präsentieren will, zeigen will, dass man mit Doping eben nicht durchkommt, dass man nicht einfach so eine Sperre absitzen und zurück kommen kann, was macht man dann? Auf wen soll man warten? Welche Möglichkeit ausser Startverboten bieten sich, um zumindest die eigene Veranstaltung sauber zu halten?

Selbst nach einem halben Jahr finde ich darauf keine befriedigende Antwort, es ist immer ein für und wider.  Einerseits sollte man Doping nicht bagatellisieren und Nachsicht normalisiert den Betrug, das wurde im Radsport viel zu lange gemacht (Dazu dieser Artikel bei Cycling Tips). Auf der anderen Seite haben härtere Strafen noch selten zu einer Verbesserung geführt, egal auf welchen Gebiet. Einerseits kann ich die Entscheidung der Veranstalter verstehen, Ex-Doper nicht zuzulassen. Andererseits habe ich selber keine Problem gegen Ex-Doper anzutreten. Einerseits sollte man Doping nicht relativieren, andererseits ist es nur Sport und niemand wird ermordet. Wie so oft im Leben gibt es nicht nur Schwarz und Weiß sondern eine ganze Menge Grau-Schattierungen dazwischen.

Ohne Frage wünschenswert ist aber, dass es trotz des Vorfalls in diesem Jahr auch 2018 einen Renntag in gewohnter Breite in Offenbach an der Queich geben wird und der Verein an seinem entschiedenen Einsatz für einen sauberen und fairen Sport festhält. Unabhängig von Startverboten für irgendwelche Seniorenfahrer ist es nämlich diese Einstellung, die den Nachwuchsfahrern des Vereins wichtige Werte vermittelt, über die man verfügen muss um später die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Ich freu mich über und bitte um konstruktive Kommentare. Äusserungen, die die Lizenzfahrer im Allgemeinen und meine Sportkameraden der Mastersklasse im Speziellen per see als Doper und verbohrte Egomanen verunglimpft, werde ich aber nicht freischalten.

Links:
Antidoping Resolution RV Vorwärts 1904 Offenbach

Donnerstag, 2. November 2017

Icarus - Wie Doping und Geopolitik zusammenhängen

Manche Filme halten überraschende Wendungen bereit, der absehbare Plot wird verlassen und plötzlich sieht man einen ganz anderen Film. Etwa wenn sich From Dusk Till Down von einem Gangster-Roadmovie zu einem Vampir-Horror-Splatterfilm wandelt. In etwa genauso abstrus geht es in Icarus zu, einem Film über Doping im Radsport, sozusagen der Roadmovie-Teil, und den Skandal um das russische Staatsdoping, der Horror Teil.

Bryan Fogel ist ein begeisterter Radsportler und Amateur Rennfahrer. Lance Armstrongs Dopinggeständnis zwingt ihm die Erkenntnis auf, dass Dopingkontrollen weitgehend wirkungslos sind und ein negativer Test alles mögliche belegt, nur nicht dass der Fahrer sauber ist. Denn schliesslich wurde Armstrong nie offiziell des Dopings überführt.

Wie muss man es also anstellen um durch das Netz der Dopingfander zu schlüpfen? Und hilft EPO und Co. tatsächlich? Da Bryan Fogel auch ein Filmemacher ist, plant er eine Dokumentation über einen Selbstversuch, ein Doping - Super Size Me sozusagen. 2014 nimmt er an der Haute Route Teil, einem Gran-Fondo-Etappenrennen in den Alpen. Ungedopt. Er schlägt sich nicht schlecht, muss aber erkennen, dass die Fahrer in der Spitze wie von einem anderen Stern fahren. Wie würde er sich schlagen, wenn er nach allen Regeln der pharmazeutischen Kunst nachhelfen, wenn der den Amateur-Armstrong geben würde? Dazu sucht Bryan Fogel fachkundige Unterstützung, die er schließlich bei Dr. Grigory Rodschenkov findet, dem Leiter des russischen WADA Labors in Moskau. Der Russe willigt ein Fogel zu helfen, man konferiert über Skype und trifft sich persönlich, es gibt einen Dopingplan, der beschreibt wann was einzunehmen ist. EPO, Testosteron,  Wachstumshormone, das übliche eben.
Fogel bereitet sich auf die nächste Haute Route vor und füllt unterdessen fleißig Urin-Proben ab. Diese sollen später nach allen Regeln der Kunst in Moskau analysiert werden. Die Haute Route endet dann nicht wie erhofft. Materialpech verhindert eine bessere Platzierung und noch immer sind die Besten deutlich überlegen.

Unterdessen veröffentlicht die ARD die Dokumentation von Hajo Seppelt Geheimsache Doping - Wie Russland seine Sieger macht. Dadurch kommen eine ganze Reihe von Ereignissen ins Rollen, an deren Ende sich Dr. Rodschenkov seiner Verhaftung und Rolle als Bauernopfer nur durch die Flucht in die USA entziehen kann. Von da an widmet Icarus sich dem russischen Dopingprogramm. Aus erster Hand berichtet der Mann, der den Sportbetrug in Russland organisiert hat von vertauschten Proben, Urindatenbanken und geheimen Zimmern mit getarnten Löchern in den Wänden. Das Erschreckendste bei all dem geht dabei weit über den Sport hinaus. Wer denkt bei Doping schon an geopolitische Schachzüge, an Brot und Spiele für das Volk und an Politiker, die auf einer Welle steigender Zustimmungswerte nach olympischen Medaillen Kriege beginnen?

Auch wenn am Ende einige Fragen offen bleiben (Wäre Fogel unentdeckt durch die Kontrollen gekommen? Wie weit verbreitet ist Doping im Freizeitsport? Ist Rodschenkov Held oder  Bösewicht?), bietet der Film zwei Stunden beste Unterhaltung und einen einmaligen Einblick in staatlich organisiertes Doping.

Zu sehen ist der Film nur auf Netflix. Im Original, mit Untertiteln oder in deutscher Synchronisation. Netflix bietet einen kostenlosen ersten Monat an, danach kostet das Abo zwischen 8 und 12 Euro und ist monatlich kündbar.


Anfang September hat der Regisseur mit Cyclingtips ausführlich über den Film gesprochen. Der Podcast ist einer der wenigen, die ich mir ein zweites Mal anhören werde:



Links:
ARD Sport Aktuel Podcast, Besprechung des Films
NY Times Filmkritik
NY Times Story über das russische Doping Program Teil 1, Teil 2
Spiegel Online Filmkritik