Die Diskussionsbeiträge unter der Facebook Meldung teilen sich grob in zwei Gruppen. Eine Hälfte gratuliert dem Sieger zu seiner tollen Leistung und freut sich, die andere Hälfte überbietet sich in Sarkasmus ob der für sie offensichtlich gedopten Leistung. Und tatsächlich ist es erstaunlich, dass ein Sportler mit 48 Jahren eine Zeit fährt, die die Leistung von jüngeren und dem Doping überführten Fahrern in den Schatten stellt.
2014 hat Roberto Cunico mit 35 Jahren in 7:05 gewonnen, Zweiter war Emanuel Nösig (33 Jahre) in 7:07. 2013 hat ebenfalls Cunico gewonnen, in 7:13, Nösig war in diesem Jahr Fünfter in 7:18. Der Sieger der Jahre 2006 (7:12), 2007 (7:03) und 2009 (7:07) , Emanuele Negrini (Jahrgang 74), wurde ebenfalls des Dopings überführt. Wohlgemerkt nicht beim Ötztaler, dort gibt es keine Kontrollen, sondern bei anderen Rennen.
Eine Serie fast wie bei der Tour de France! Daraus zu schließen, dass auch alle anderen Spitzenfahrer gedopt sind, ist natürlich so nicht zulässig. Wenn ein Fahrer gedopt eine bestimmte Leistung erbringt, kann ein anderer mit mehr Talent und besserem Training natürlich auch sauber schneller sein. Selbst wenn ich alle pharmazeutischen Tricks nutzen würde, wäre Chris Froom mit Pane e Aqua immer noch besser.
Im Leistungssport geht es darum den Besten zu finden. Den Sportler, der die verschiedenen Leistungsfaktoren wie VO2max, FTP, Effizienz, Verteilung der Muskelfasern, biomechanische Vorraussetzungen etc. in optimaler Weise kombiniert. Der Sportler der bei jedem in seinem Sport relevanten Leistungsfaktor das physiologische Optimum erreicht, also auch in der Kombination der Faktoren, wird mühelos seinen Sport dominieren. Ein Mutant!
Die Situation ist schon etwas paradox. Der Leistungssport verkörpert die Suche nach dem Mutanten. Es geht immer um ein höher, schneller, weiter. Wenn aber ein Sportler auftaucht, der tatsächlich besser ist als alle anderen, hängt immer der Verdacht des Dopings über ihm.
Profis können zumindest noch ihren biologischen Passport und Wettkampf- und Trainingskontrollen anführen, auch wenn wir wissen, dass negative Dopingtests keine Garantie für eine saubere Leistung sind. "Jedermänner" haben diese Möglichkeit nicht. Schon alleine aus diesem Grund sollten Dopingtests auch bei Radmarathons und Gran Fondos zum Standard gehören.
Jetzt ist es im Straßen-Radsport ja so, dass die Geschwindigkeit relativ wenig über die Leistung aussagt. Selbst auf einer immer gleichen Strecke gibt es soviel Faktoren die die Zeit beeinflussen. War das Wetter besser? Stand der Wind günstiger? War eine Abfahrt neu asphaltiert? Fuhr die Spitzengruppe gleichmäßig im ersten Teil des Rennens oder gab es viele Tempowechsel? Das alles beeinflusst die Zeit am Ende. Mich haben daher die Leistungsdaten von Bernd Hornetz interessiert und wie so oft gewährt Strava hier einen tollen Einblick.
Die folgende "Analyse" ist natürlich mit Vorsicht zu genießen. Wir wissen weder ob die Power Daten verlässlich sind, noch das tatsächliche Gewicht des Fahrers. Bestenfalls bewegen wir uns auf dem Niveau der "Pseudo-Science" Analysen. Aber nichtsdestotrotz wird deutlich werden, welch enorme Leistung zum Gewinn des Ötztalers notwendig ist.
Das Google Chrome Add-On Stravistix macht die Zahlen Massage etwas einfacher. Bei einer durchschnittlichen Leistung von 239 Watt berechnet Stravistix 3,82 w/kg. Das entspricht einem Gewicht von 62,5 Kilo. Sollte Bernd sein Gewicht in Strava nicht pflegen, sind alle drauf beruhenden Berechnungen natürlich falsch. Bei dem Jedermann Rennen auf der Nordschleife bin ich eine Weile in seiner Nähe gefahren und vom optischen Eindruck sollte das hinkommen.
Wenn wir die w/kg auf die nach Coggan gewichtete Durchschnittsleistung berechnen, kommen wir sogar auf 4,32 w/kg. Dieser gewichtete Durchschnitt entspricht der Anforderung an den Organismus, die zur Erbringung einer konstanten Leistung (im Gegensatz zu der variablen Leistung im Rennen) notwenig gewesen wäre und gewichtet dabei höhere Wattzahlen stärker, da Leistungen über der FTP Schwelle den Organismus weitaus stärker fordern als niedrige Wattzahlen.
4,32 w/kg! Über sieben Stunden! Im Hochgebirge auf bis zu 2400 m! Das ist schon immens.
Ein Blick auf die verschiedenen Berge:
Der Anstieg hat fast eine Stunde gedauert. Der einfache Leistungsdurchschnitt und der gewichtete liegen recht nah beieinander, was bedeutet, dass es keine großen Tempovariationen gab. Bernds FTP Wert wird wahrscheinlich nicht weit über den 5w/kg liegen. Nach dem Power Profile Chart von Coggan befindet sich Hornetz damit im Bereich "Exeptional - Domestic Pro". Mit seiner Zeit von 56:29 liegt er auf Platz sechs des Strava-Leaderboards.
Am Brenner ging es scheinbar etwas "gemütlicher" zur Sache. Die Durchschnittsleistung ist immerhin 25 Watt niedriger als am Kühtai. Die Zeit reicht immer noch für die Top Ten bei Strava.
Wieder ein Anstieg von fast einer Stunde und einer Leistung nicht weit unter der vermuteten FTP Schwelle. Und das bis hinauf auf 2000 Meter.
Anstieg Nummer vier ist des Timmelsjoch. Nach fünf Stunden Rennen und 180 km begingt der vermutlich härteste Berg. 90 Minuten Kletterei bis auf über 2400. Dabei ist zu beachten, dass ab etwa 1500m die Leistung sinkt. Aufgrund des geringeren Sauerstoffgehaltes kann der Körper nicht mehr die gleiche Leistung erbringen wie weiter unter. 250 Watt auf dem Timmelsjoch sind dann wie, sagen wir 320 Watt im Flachen. Der Verlust variiert von Sportler zu Sportler und ich finde gerade nicht die Formel um den Verlust abzuschätzen, was wir aber sagen können ist, dass eine Leistung von 4.35 w/kg über 90 Minuten nach dieser Renndauer und auf dieser Höhe schon sehr beeindruckend ist.
Bemerkenswert ist dass Hornetz an allen vier Bergen auf ähnlich hohem Niveau fährt. 56 min mit 5 w/kg, 67 min mit 4,4 w/kg, 51 min mit 4,7 w/kg und 88 min mit 4,4 w/kg
Noch erstaunlicher wird es, wenn man zum Vergleich einen Blick auf die Daten von Tour de France Fahrern wirft. Auf Trainingspeaks gibt es detaillierte Analysen einer ganzen Reihe von Fahrern zu jeder Etappe 2016 (Woche 1, Woche 2, Woche 3). Natürlich kann man Etappen einer dreiwöchigen Rundfahrt schwer mit einem Rad-Marathon vergleichen. Aber um der Pseudo-Wissenschaft treu zu bleiben, mache ich es trotzdem. Hier was es über Michael Valgrens Fahrt auf der 17. Etappe von Bern nach Finhaut-Emosson (63., 26:15 min hinter Ilnur Zakarin) zu sagen gibt:
Bernd Hornetz hat beim Ötztaler also mit 3.82w/kg über sieben Stunden eine deutlich höhere Durchschnittsleistung erbracht als Michael Valgren mit 3,38w/kg auf der Königsetappe in den Alpen über fünf Stunden.
Das ist erstaunlich. Aber ist es auch verdächtig? Laut Strava hat Hornetz seit Januar schon über 20 Tausend (!) Kilometer abgespult. Das er erst spät, mit 30 Jahren, mit dem Radsport angefangen hat, muss nicht nachteilig sein. Radsport lässt sich auch jenseits der 40 noch auf sehr hohem Niveau betreiben. Die Regenerationsfähigkeit nimmt zwar ab, die Spitzenleistung kann aber noch lange gehalten werden. Der begrenzende Faktor ist oft eher eine psychische Müdigkeit. Noch eine Saison und noch eine, irgendwann reicht es halt. Fahrer die mit 10 Jahren anfangen haben ihre 18. Saison schon mit 28 Jahren in den Beinen.
Irgendwie hoffe ich ja, das entweder die Gewichtsangabe von Hornetz falsch ist oder der Powermeter zu hohe Werte ausweist. Aber mit ein paar Kilo mehr und etwas weniger Watt gewinnt man keinen Ötztaler, das ist sicher (dann könnte ich nämlich um den Sieg mitfahren). Am Ende ist es eine reine Glaubensfrage, weder können die Skeptiker Doping nachweisen, noch können die Sportler beweisen, dass sie sauber sind.
Was soll man nun von der ganzen Chose halten? Und welche Lehren und Konsequenzen ziehen? Das muss am Ende jeder für dich selber wissen.
Update 22.12.2016:
In der RennRad 11-12/2016 hat Bernd Hornetz über den Ötztaler geschrieben und dieser Post hier wurde unter weitere Informationen referenziert! Dazu und nochmal ein wenig Hintergrund zu dem 'Mutanten-Titel' (ist ein Insider) findet ihr hier: Eine Offline Verlinkung
Links:
Bernd Hornetz' Strava Ötztal Aktivity
Im Interview auf Speed-Ville
Zum Thema Doping in seiner Kolumne auf RennRad
Ein interessanter Post von Jürgen Pansy über Doping im Amateurrennsport, insbesondere in Österreich und der Marathonszene
Sehr starker und hoffentlich ungedopter Bericht!! Danke! ;)
AntwortenLöschenAlso gegen das was ein voll fahrender Profi innerhalb einer 3 wöchigen Landesrundfahrt veranstaltet ist das doch schon zahm wie der Hornetz fährt. Hier mal ein Vergleich mit Keldermann auf einer Strecke wo "nur" 3000HM dabei sind: https://www.strava.com/activities/143890911
AntwortenLöschenVergleichbare Durchschnittsleistung, höhere NP/gewicht und am Ende drückt der lässig (oder auch nicht so lässig) nochmal 1600VAM raus, und nicht 12xx
Der Ötztaler hingegen ist fast designed für hohe NP-Werte, kaum vorzustellen wie das aussähe wenn da ein frischer Keldermann (oder gar Froome) mal voll drüber brettert.
Na das will ich doch hoffen dass Froome den Ötztaler in unter 6:30 fahren kann! Radmarathons sollten grundsätzlich bei dieser Zahlenspielerei günstig abschneiden, da in der Regel gleichmäßiger gefahren wird. Radrennen sind hingegen mehr durch Tempowechsel geprägt, was sich eher negativ auf die Durchschnittsleistung auswirkt.
LöschenAmateur races are really different to Pro races and that counts for a lot when measuring NP/Watts per kilo over lengthy times. The Pros try to use as little power as possible and the top amateurs pretty well do the opposite. For example, the races of Cunico and Hornetz, while very different also show this tendency. Cunico was not feeling confident that year due to the presence of some stronger finishers than him, so he broke away with 100km to go and was essentially full gas to the line. A very fast time, but solo for a long time and having to keep the power up till he stopped. Hornetz was in a very strong break for a long time and he with his friends was working very hard the whole way. He also had strong teammates in the peloton "controlling" the pace there, so he had a big enough gap to hold on. Both of these riders had to use exceptional endurance power to succeed, whereas in Pro Racing that is usually not enough to hold off the teams who want to win. I know both the riders that I have commented on and am confident that Bernd races cleanly. I know his training regime, his trainer and also the break that he took earlier on that allowed him to come back fresher than for many years culminating in some great results and this Oetztaler win. I would entitle this win as "One for the good guys" and about time, too!
AntwortenLöschenAgree with a lot of what you wrote, but I have to say every time I hear someone say "I'm confident that person XYZ is clean" I roll my eyes. As a rule of thumb everyone who knows someone personally thinks they are clean (until proven otherwise at-least). Problem is everyone is known by someone, even the dopers. In many cases knowing someone is probably the worst anti-criterium in terms of competence to judge whether they are clean or not (a lesson D. Walsh probably hasn't learned for the 4th??? time now). You are a very competitive racer, correct? Which means you have considered (maybe not that seriously) using PED's. Assuming you are clean, do you think if you took PED's people would know? I myself are very confident I could hide it from everyone but my doctor and my bank. I don't know Bernd H, but I've heard he's a physicist. Having studied physics myself I am sure he's a smart guy. He'd probably be great at pulling wool over peoples eyes in case he uses pharmaceuticals.
LöschenHaving said all that I also don't have any special reason to believe that he's not racing clean. His involvement with Cunico and the Beraldo guys doesn't look rad in the public eye but I sort of doubt he was a co-conspirator there, failing an in-competition test for epo - to put it bluntly - is... well, Cunico doesn't seem to be the sharpest tool in the shed. The performance at the Ötztaler was very impressive but I'm convinced that atleast it's possible for a clean athlete. He's 48, but I've always been thought that the physiological decline in athletes in their mid-life is routinely and severely over-estimated by the "normal" population. So again there's not much grounds for a condemnation, neither.
This all aside I don't support the Ötztaler, no doping tests, the organizers fawning over shady ex-professionals (lately Jörg "zu allen Schandtaten bereit" Lügewig). This is not professional cycling, peoples livelihoods are not tied to the sport in the same way as in the UCI pro tour - so in my opinion every reasonable organiser should enforce lifetime bans! While I have some sympathy for professional dopers I have absolutely none for drug cheats in amateur races!
Ok sorry for the incoherent rant, let's end it right here. But this is a topic close to my heart, even though I'm only an amateur, road racing is what I enjoy most in life. THe situation as is, some idiots casting doubt over every performance resulting in athletes - athletes in search for fair competition - not knowing whether they've been beaten fair and square by a better athlete or cheated by a rolling pharmacy, really ticks me off to no extent. Cheers
Es werden immer wieder die Jahreskilometer als Argument gegen Doping angeführt. Aber genau dort stellt sich die Frage, wie man so viele Trainingskilometer schafft, ohne tot vom Rad zu fallen. Es gibt ja sicher einige Radler die versuchen, genausoviel zu fahren, aber im totalen Übertraining versauern.
AntwortenLöschenMan könnte auch so Argumentieren, daß Doping dabei hilft, so viele Trainingskilometer einschließlich der benötigten Regenerationszeiten zu bewältigen.
20.000+ Jahreskilometer kann man durchaus fahren ohne tot vom Rad zu fallen. Vor 20 Jahren hatte ich die auch und bin 40 Stunden die Woche arbeiten gegangen. Wenn dann nicht nur viel sondern auch richtig trainiert wird, kommt da schon was bei raus.
LöschenMit dem "Trainings-Doping" hast du natürlich absolut recht. Sonst bräuchte es bei den Profis ja auch leine unangemeldeten Trainingskontrollen. Das Whereabouts System ist nicht ohne Grund so rigoros. Am Ende ist es eine Glaubensfrage.