Samstag, 14. September 2013

Le Géant du Provence / An epic battle


Wo bleibt dieser verdammte Kilometerstein? Nr. 18 habe ich schon vor einer Ewigkeit passiert. Also noch 2 Komma irgendwas bis zum Gipfel. Ich bin am Ende, ich habe keine Lust mehr, meine Knie ächzen unter dem zu kleinen Gang (ich hätte nicht gedacht, dass 39x28 nicht reichen). Ich ziehe in Betracht, einfach umzukehren, hat halt nicht gereicht, ein anderes Mal. Komme aber zu dem Schluss, dass das keine Alternative ist, nicht so kurz vor dem Ziel.

Und wenn ich die letzten Kilometer schieben muss, ich werde diesen verdammten Berg bezwingen. Endlich, nur noch 2 lächerliche  Kilometer, dass wird ja wohl zu schaffen sein. Ich fange an mich zu beschimpfen, "Hol den Arsch aus dem Sattel", "Fahr du Pussy", "Stell dich nicht so an, du Lusche". Flacher wird's davon aber auch nicht. Also Zick-Zack, über die ganze Straßenbreite. Zum Glück kaum Verkehr, Rechter Rand - linker Rand - rechter Rand - Kein Auto zu sehen - wieder nach links - und nach rechts - immer noch frei - wieder nach links ... so schraube ich mich die letzen Meter zum Observatorium hoch. Noch ein Kilometer, .. noch fünfhundert Meter, der letzte Stich und ich habe es geschafft: Den Mt. Ventoux von allen drei Seiten an einem Tag. Drei mal hintereinander Hors Catergorie.

Das war bei weitem schwieriger als ich gedacht hatte.

Acht Stunden vorher:

Auf dem Weg zum Ventoux
Nach einer welligen 30 km Runde zum Einrollen geht es los. Bedoin - Mt. Ventoux, die schwerste Seite zuerst. 21 km, von 290 auf 1912 Meter. Das Wetter ist klasse, blauer Himmel, gute 20°, kaum Wind. Ich bin euphorisch und freue mich auf ein "Tänzchen mit dem Ventoux". Am Anfang steigt die Straße nur leicht, es geht durch Weinfelder bis nach St. Estève. Nach einer 180° Kurve fängt der Berg an. 10%, grober, französischer Asphalt, weiß-gelbe Kilometersteine, die die Entfernung bis zum Gipfel und die Höhe anzeigen, Pinienwälder. Es sind nur vereinzelt Radfahrer unterwegs. Ich bin nicht ganz so schnell wie gedacht und meine Trittfrequenz ist somit etwas niedriger wie sie sein sollte. Aber 39x28 sollten doch wirklich reichen. Und immerhin ist die Seite von Bédoin die schwierigste, wenn es hier reicht, wenn auch gerade so, wird der Rest ja wohl auch zu schaffen sein. So denke ich es mir zumindest.

Im ersten Anstieg, kurz nach St. Estève

Aber es macht Spass, ich fühle mich gut und komme gut voran. Mein Puls ist eigentlich zu hoch. Aber egal, ist ja am Berg, und die Zeit soll ja bitte auch stimmen, immerhin bin ich Ex-Radrennfahrer und nicht irgendsoein Touri!

Charlet Reynard
Nicht mehr so frisch
Nach einer Stunde bin ich am Chalet Reynard. Jetzt beginnt die "Mondlandschaft". Noch sechs Kilometer. Ha, das ist ja wohl ein Klacks! Aber der letzte Kilometer wird dann doch verdammt lang. Ich bin froh als ich nach 1 Stunde 33 Minuten endlich oben bin.

das obligatorische "Ich war oben Foto"

Die Sicht ist unglaublich. Ein paar Fotos. Ne Cola aus dem Kiosk. Ein kurzer Plausch mit anderen Radfahrern. Jacke an und los geht's. Die Straße nach Malaucene ist vom Gipfel bis zum Mt. Serein wegen Steinschlag gesperrt. Wobei nur auf den ersten Metern tatsächlich Steine auf der Straße liegen. Danach ist die Straße einfach nur leer. Herrlich. Ich fliege mit über 80 Stundenkilometern an einem Wohnmobil vorbei, die Straße führt in weiten Bögen ins Tal, es ist kaum nötig abzubremsen. Ich bin berauscht und fühle mich wie Superman.

Völlig high komme ich in Malaucène an. In einem der Radläden lasse ich die Karte abstempeln und "tanke" in der Bäckerei gegenüber Kohlenhydrate und Wasser.

Los geht's zum zweiten Anstieg. Recht schnell verfliegt die Euphorie der Abfahrt und die Kette klettert wieder auf den 28er. Aber gut, wird schon gehen. Nach einer Weile werde ich von zwei Radfahrern überholt. Eine Sekunde überlege ich, ob ich das Tempo mitgehen soll. Die beiden sehen nicht besonders sportlich aus. Rennräder zwar, aber haarige Beine. Na, denke ich mir, macht ihr nur mal wie die Wilden, wir sehen uns später und fahre in meinem Tempo weiter. Irgendwann sehe ich vor mir einen Radfahrer mit einem grünen Turnbeutel auf dem Rücken. Prima, ein Opfer! Aber der Abstand wird nur langsam weniger. Scheisse, das gibt's doch nicht. Ich bin fertig. Noch 12 km. Noch nicht mal die Hälfte. Und ich lasse mich von den Touris abhängen. Ich fange an Schlangenlinien zu fahren. Die Straße ist breit genug, dass es tatsächlich eine Erleichterung darstellt. Der Turnbeutel ist verschwunden. Mist. Auf der Bedoin Seite kommt spätestens noch 200 m die nächste Kurve, aber auf der Nordseite geht die Straße auch mal einen Kilometer geradeaus. Das gibt mir den Rest. Zu allem Überfluss wird es auch noch steiler. Diese Seite soll einfacher sein?

So schraube ich mich nach oben, Meter für Meter. Was würde ich jetzt für eine Kompaktkurbel geben. Aber nein, ich bin ja cool, ich fahre natürlich eine Männer Kurbel. Verdammt. Immer wieder sinkt die Geschwindigkeit unter 10 km/h. Die Trittfrequenz unter 50 Umdrehungen. Das ist nicht mehr gesund. Die Knie schmerzen.

Was soll's, noch sechs Kilometer. Am Mont Serain wird es kurz etwas flacher. Das letzte Stück. Kurz vor dem Gipfel überholt mich das Kehrauto. Nein, nicht um mich aufzukehren (obwohl ich im Besenwagen passend aufgehoben wäre) sondern um die Strasse vom Steinschlag zu befreien. Ich zögere nicht und halte mich fest. Nach 800 Meter ist es vorbei mit der Unterstützung und den letzten Kilometer schaffe ich ohne fremde Hilfe. Hinter dem Kehrwagen stauen sich die Autos. Die Straße ist wieder freigegeben. Gutes Timing!

Total ausgepumpt sitze ich vor dem Kiosk auf dem Boden. Nach einer Weile quäle ich mich hoch, fülle die Flaschen mit Cola, ziehe die Jacke an und los geht's. Runter nach Sault. Kurz nach dem Charlet Reynard kommt mir mein Vater entgegen. Er hat es gleich geschafft. Wir wünschen uns Glück. Die Abfahrt rollt schlecht, aber gut, dann wird es bergauf auch einfacher.

Die kurze Gegensteigung hoch nach Sault tut weh. Ich lasse die Karte ein letztes mal stempeln, fülle die Flaschen am Brunnen in der Dorfmitte und nehme den Ventoux zum dritten mal in Angriff. Mir kommt ein Anwärter auf die "Cinglés du Ventoux" entgegen. Ich bin also nicht der einzige Verrückte heute.

Aufgrund der Sperrung (Straßenarbeiten, neuer Asphalt) bin ich wieder alleine, nur einige wenige Radfahrer im Gegenverkehr, keine Autos. Es zieht sich. Bis zum Charlet Reynard geht es trotzdem ganz gut. Nach sechs Kilometer! Ein Klacks! Ich mobilisiere die letzte Reserve. Vor mir taucht ein Radfahrer auf. Ich ziehe vorbei. Ein Mountainbiker. Noch fünf Kilometer. Irgendwie ging das heute morgen besser. Noch vier. Meine Tankanzeige springt auf leer. Die Warnlampe leuchtet nicht nur, die blinkt wie verrückt. In der Bedienungsanleitung steht für solche Fälle wahrscheinlich, dass man sofort anhalten muss. Mich packt Panik. Ich sehe schon wie der Mountainbiker mich zurückholt und mich stehen lässt. Also weiter, ich versuche auszurechnen wie lange ich noch bis zum Gipfel brauche. ... Lange! Genauer bekomme ich es nicht mehr hin. Noch drei Kilometer ....








Lés cinglés du Ventoux