Da hat es der alte Fuchs Valverde doch tatsächlich geschafft und sich in Innsbruck das Regenbogentrikot des Weltmeisters übergezogen. Nach vier Bronze- und drei Silbermedaillen endlich Gold, mit 38 Jahren! Nur Jop Zoetemelk war ein paar Monate älter, als er Weltmeister wurde.
Im Radsportnetz brach darauf hin ein wahrer Sturm los. Valverde! Ausgerechent Valverde. Glaubt man den Unkenrufen, steht der Radsport mal wieder am Abgrund. Jeder, aber auch wirklich Jeder wäre ein würdigerer Weltmeister als "El Imbatido" (der Unbesiegbare). Paul Kimmage nennt es “
Another excrement day for pro cycling”, Velonews ruft einen runden Tisch ein und fragt “
How do we feel about Valverde’s world’s win?” und Caley Fretz schreibt auf Cyclingtips “
I wish Valverde hadn’t won”. Der Radsport hat den Sieger bekommen, den er verdient. Auch das war auf Twitter zu lesen, was auch immer es bedeutet.
Natürlich kann man manche Fahrer sympathischer finden als andere, gönnt dem Einen den Sieg mehr als dem Anderen. Aber ist es wirklich notwendig, jeden Fahrer und jeden Sieg auf vergangene Verfehlungen zu prüfen? Jedem Sieg einen Glaubwürdigkeitsindex anzufügen? Wie soll der berechnet werden? Wie kann man sich dann überhaupt noch am Radsport erfreuen? Ja, Valverde hat auf immer diese Fußnote in seiner Vita. Operation Puerto, ein DNA Nachweis, juristische Winkelzüge und schließlich zwei Jahre Sperre. Aber kein Schuldeingeständnis, keine Entschuldigung, keine öffentliche Reue. Stattdessen hat der Mann aus Murcia dem Vernehmen nach härter und mehr als je zuvor trainiert und kam mit einem Paukenschlag zurück.
2012 gewann er die Königsetappe der Santos Tour Down Under und wenig später die Andalusien Rundfahrt. Bähm! Die Serie dauert bis heute an. Valverde hat vier mal Lüttich-Bastogne-Lüttich gewonnen, fünf mal den Wallonischen Pfeil, fünf mal die Andalusien Rundfahrt, elf Etappen und die Gesamtwertung der Spanienrundfahrt, zwei mal die Dauphiné und zwei mal San Sebastian. Er trug mehrmals das Spanische Meistertrikot im Straßenrennen und im Zeitfahren und hat vor dem Sieg in Insbruck sieben WM-Medaillen gesammelt. Ob Eintagesrennen oder Grand Tour, ob Frühjar, Sommer oder Herbst, Valverde steht am Start und kämpft. Und wenn es nicht für den Sieg reicht, fährt er auch um die Ehrenplätze. Von 24 Gran Tours war er 17 mal unter den Top 10 und 13 mal unter den Top 5.
In der
All-Time Bestenliste von Pro Cycling Stats steht Valverde auf Platz acht, nur geschlagen von Merckx, Moser, Anquetil, Kelly, Hinault, de Vlaeminck und van Looy, aber vor Coppi, Gimondi, Bartali oder Indurain. Der nächste noch aktive Fahrer, Peter Sagan, kommt erst auf Platz 23.
Wenn sich der moralische Furor nun über Valverde ergießt, was ist dann mit Merckx, Anquetil, Thurau oder Altig? Hat der Kannibale, der unbestritten größte Radsportler aller Zeiten nicht mehrere Dopingvergehen auf dem Kerbholz? Darf man die Helden der Vergangenheit noch ruhigen Gewissens bewundern? Darf man zu Pantanis Grab pilgern und gleichzeitig Armstrong verurteilen?
Wenn ich Valverde sehe, sehe ich einen Fahrer, der den Radsport liebt, der nie aufgibt und sich selbst nach schlimmen Verletzungen zurück kämpft. Einen Fahrer, der nicht nur Leader, sondern auch Domestike ist. Der eine ausergewöhnliche Konstanz zeigt, über die Saison und die Jahre, dabei aber nie durch “außerirdische” Leistungen heraussticht. Der Panache und Grinta verkörpert wie nur wenige Andere. Der elegant auf dem Rad sitzt. Der Rennen nicht nur mit den Beinen, sondern auch mit Cleverness gewinnt.
Was an dieser Geschichte mit solchen Höhen und Tiefen, mit so viel Emotion und Leidenschaft sollte schlecht für den Radsport sein?
Das Einzige was ich Valverde vorhalten kann, ist dieses furchtbare Kit der spanischen Nationalmannschaft. C’mon Espana, was war da los? Das geht doch wirklich besser! Aber zumindest haben Valverde und Movistar sich für die
klassische Weltmeister-Kit Variante mit schwarzer Hose entschieden!
Bilder: Bettini Photo, Pressebilder WM Innsbruck