Ich bin ein großer Anhänger des Krafttrainings mit der Langhantel. Seit einigen Jahren gehört der Geruch von Schweiß und Eisen und das Klacken der Gewichte zu meinem Winterprogramm. Warum man Kraft nicht auf dem Rad sondern nur mit Gewichten trainieren kann und wozu das gut ist, darüber habe ich
hier schon mal geschrieben.
Bei aller Begeisterung hat sich mein Langhantel Übungsrepertoire bislang aber auf Kniebeugen beschränkt. Um es richtig zu lernen, habe ich einen Gewichtheber Workshop an der Sportschule in Saarbrücken besucht. Der vom Landessportband Saar organisierte Lehrgang ging über zwei Tage und hat mit Weltklasse Dozenten gelockt. Der U23 Bundestrainer Michael Vater und der Sportdirektor des Deutschen Gewichtheber Bundes und ehemalige Bundestrainer
Frank Mantek vermittelten in zwei Tagen die Grundzüge der beiden Teildiziplinen des Olympischen Gewichthebens, des Reißens und Stoßens. Mantek hat 1980 in Moskau selber eine olympische Bronzemedaille gewonnen und führte zuletzt Matthias Steiner zu olympischem Gold.
Die 20 Teilnehmer kamen größtenteils aus dem Crossfit und Fitnessbereich, aber auch Ringer, Boxer, eine Gewichtheberin und zwei Triathleten haben den Weg nach Saarbrücken gefunden. Nach einer theoretischen Einführung in die Bewegungsabläufe ging es recht schnell in die Gewichtheberhalle, deren charakteristisches Merkmal die Abwurfflächen für die schweren Gewichte sind. Denn alles was hoch gehoben wird, muss ja auch wieder runter kommen und zwar ohne im Boden Einschlagkrater zu hinterlassen. Mit unseren Übungsgewichten war diesbezüglich aber nichts zu befürchten gewesen. Die Nachwuchs-Hantelstangen und -Gewichte sehen zwar spektakulär aus, wiegen aber weniger als ein Kasten Bier.
Bevor wir an die Hantelstangen durften, sind wir erstmal gehüpft, aus hüftbreiten Stand in schulterbreiten Stand und versuchten dabei möglichst exakt an der zuvor gezogenen Linie zu landen. Diesen Sprung benötigt man später beim Umgruppieren. Was man als Laie nicht unbedingt weiß: Beim Gewichtheben geht es um Präzision und Beweglichkeit! Nur wenn die Bewegungsabläufe genau stimmen, wird es gelingen, die Hantel senkrecht nach oben zu befördern ohne dabei das Gleichgewicht und die Kontrolle über das einmal beschleunigte und dem Gesetz der Massenträgheit gehorchende Sportgerät zu verlieren.
Der Bewegungsablauf im Gewichtheben wird in verschiedene Abschnitte unterteilt. Beim ersten Teil des Stoßens sind es deren etwa sechs: Von der Startposition (1) geht es mit einer Parallelverschiebung des Rückens in Position Zwei (2), dann öffnet sich der Hüftwinkel, die Hantel wird um das Knie herum geführt und berührt kurz den Oberschenkel (3) bevor die zweite Zugphase beginnt, deren Ende (4) das sogenannte Umgruppieren (5) einleitet, bei dem der Gewichtheber blitzschnell unter die Hantel kommen muss, um dann aus der Hock mit der Hantel auf dem Schlüsselbein liegend dynamisch aufzustehen (6).
Da man Bewegungsabläufe, die man "ohne Hantel nicht kann, mit Hantel erst recht nicht kann" und weil "Wiederholung Vertiefung schafft und mehr Wiederholungen mehr Vertiefung” (Frank Mantek) haben wir nach dem Hüpfen die Bewegungen mit einer Gymnastikstange geübt. Aus Position Eins in die Zwei und zurück und in die Zwei, in die Drei, die Drei Einhalb, in die Zwei, in die Drei, in die Vier und immer so weiter. Schritt für Schritt versuchten die beiden Trainer unser Bewegungsgedächtnis so zu festigen, dass wir bei den definierten Positionen genau wussten, wo wir uns zu befinden haben. Nach der Ausführung in Zeitlupe ging es darum, die verschiedenen Schritte zu einer einzigen, flüssigen Bewegung zusammenzusetzen. Zuerst ohne, dann mit Hantel.
Hört sich einfach an? Naja, meine Frustrationstoleranz wurde einer sehr harten Probe unterzogen. Ich war noch nie ein großes Bewegungstalent. Stand im Sportunterricht Geräteturnen auf dem Plan, war ich kurz vor einer Fünf um im nächsten Halbjahr, in dem Ausdauer gefragt war, eine Eins zu bekommen. Ich weiß schon, warum ich Rad fahre: Den Hintern auf dem Sattel, die Hände mit festem Griff am Lenker, die Füße mit den Pedalen verbunden, da kann man nicht viel falsch machen. Die koordinativen Anforderungen sind vergleichsweise gering. Neben all den Crossfittern, die offensichtlich Erfahrung im Umgang mit der Langhantelstange hatten, kam ich mir wie ein Bewegungslegastheniker vor.
Letztendlich schaffte es Frank Mantek aber, mir einige halbwegs aktzeptable Versuche zu entlocken. In Anbetracht der Tatsache, dass ich zum aller ersten Mal Gewichte hob, einer der älteren Teilnehmer war und mein Talent nun wirklich nicht in der Koordination meiner Gliedmaße liegt, war ich ganz zufrieden.
Auch in Zukunft wird die Kniebeuge meine Hauptübung im Krafttraining sein. Das Gewichtheben fällt für mich eher in die Kategorie “Core Training” und “Allgemeine ausgleichende Athletik” und kann dort durch die Anforderungen an Koordination und Beweglichkeit und die Beanspruchung ganzer Muskelketten eine wichtige Rolle einnehmen. Ich habe angefangen einen Teil der Zeit im Kraftraum auf das Training der Bewegungsabläufe des Gewichthebens zu verwenden.
Nach dem Lehrgang in Saarbrücken ist mein Respekt für die Gewichtheber auf jeden Fall gewachsen und ich bin in der Lage, zumindest die gröbsten Fehler in der Bewegungsausführung zu erkennen und zu korrigieren.
Der Kurs beim LSVS ist übrigens ein echtes Schnäppchen. Für die beiden Tage inklusive Mittagessen sind 180 Euro angefallen. Der gleiche Kurs in Leimen im Bundesleistungszentrum der Gewichtheber kostet 340 Euro. Der Lehrgang in Saarbrücken fand dieses Jahr zum zweiten Mal statt und wird wahrscheinlich auch 2019 angeboten.
Um zu realisieren wie außergewöhnlich dieser Lehrgang war, muss man versuchen sich vorzustellen, dass der Bundestrainer und der Sportdirektor des Bundes Deutscher Radfahrer einen Wochenendlehrgang für Crossfitter zum Radfahren anbieten würden! (Immerhin gehört Radfahren inzwischen zu den X-Games Disziplinen.) Undenkbar, oder?
Links:LSVS Gewichtheber Workshop (wahrscheinlich auch wieder 2019)
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