Diese Woche gab es beim Giro d'Italia einige Aufregung um eine Zwei Minuten Zeitstrafe für Richie Porte, einen der Favoriten auf den Gesamtsieg des Giro. Für die, die es nicht verfolgt haben, das ist passiert: Im Finale der zehnten Etappe am 19. Mai hatte der Australier bei der fünf Kilometer Marke einen Plattfuß am Vorderrad. Weder seine Mannschaftskollegen noch der Team-Sky Mannschaftswagen und auch nicht der neutrale Materialwagen waren sofort zur Stelle. Wohl aber Simon Clarke, ebenfalls ein Australier und ein Freund von Richie Porte. Und was macht man unter Freunden, wenn der Andere in Not ist? Natürlich, keine Frage, man hilft sich. Gerrans ist kein Fahrer mit Ambitionen im Gesamtklassement und kann daher einige Minuten Zeitverlust leicht verschmerzen, im Gegensatz zu Porte, für den jede Sekunde zählt(e). Schnell war das Vorderrad gewechselt, Clarke hat Port angeschoben, inzwischen waren auch einige Sky Fahrer zur Stelle und mit vereinten Kräften ging es dem jagenden Feld hinterher.
Dummerweise fährt Clarke aber für Orica GreenEdge und nicht für Sky, was aus dem Freundschaftsdienst eine unerlaubte Hilfestellung macht. Das Reglement ist in diesem Punkt sehr eindeutig, in
Paragraph 2.3.012 heißt es:
All riders may render each other such minor services as lending or exchanging food,
drink, spanners or accessories. The lending or exchanging of tubular tyres or bicycles and waiting for a rider who has been dropped or involved in an accident shall be permitted only amongst riders of the same team. The pushing of one rider by another shall in all cases be forbidden, on pain of disqualification.
Nachdem die Geste als Akt der Freundschaft und der Fairness gefeiert wurde und als Beweis herhalten musst, was für ein großartiger Sport der Radsport ist, wo selbst "Konkurrenten" einander in der Not helfen war der Aufschrei um so größer, als die Jury Porte und Clarke mit je 200 SFR Geld- und zwei Minuten Zeitstrafe belegte.
Warum gibt es diese Regel? Ganz einfach, Radsport ist ein Mannschaftssport. Der Fahrer, der in der entscheidenden Phase des Rennens noch mehr Helfer hat, ist in der besseren Position. Er kann das Rennen besser kontrollieren, hat mehr Fahrer die Lücken schließen können, die ans Auto zurückfahren können um Flaschen zu holen und die im Notfall das Rad tauschen können. Es kommt immer wieder vor, dass Allianzen zwischen Mannschaften geschlossen werden oder dass man gegen Geld anderen Mannschaften hilft, dass nennt sich dann Combine und ist natürlich verboten. Nachzuweisen ist es schwierig, weshalb es selten gelandet wird.
Der nächste Punkt ist, das Clarke und Porte keine Konkurrenten sind. In einer Rundfahrt gibt es viele Rennen, um Tagessiege, um Wertungstrikots und um den Gesamtsieg. Clarke fährt um Tagessiege, Porte um den Gesamtsieg. Wenn Clarke anhält und Porte hilft, ist das etwas ganz anderes als wenn Contador auf Porte warten würde, bis der sagen wir auf einer Bergetappe nach einem Defekt wieder aufgeschlossen hat. Als Ullrich 2003 bei der Tour auf Armstrong wartete als dieser gestürzt ist, das war fair (allerdings, siehe 2.3.012, nicht erlaubt). Ullrich und Armstrong waren direkte Konkurrenten. Clarke im Gegensatz hatte ja nichts zu verlieren, er befand sich sozusagen in einem anderen Rennen.
Wir wissen natürlich nicht, ob Clarke auch für Aru oder Contador angehalten hätte, ich bezweifle es aber stark. Und das lässt vermuten, das es eben keine faire Geste war.
Jetzt kann man zu dem ganzen durchaus anderer Meinung sein und ich kann mir vorstellen, dass niemand Protest eingelegt hätte, wenn Porte damit durchgekommen wäre. Wie jedes gesellschaftliche Zusammenleben benötigt auch der Sport klare Spielregeln. Nicht alle Gesetzte und Regeln mögen uns sinnvoll erscheinen, solange sie aber gültig sind, müssen wir uns daran halten, oder uns zumindest nicht erwischen lassen.
Bei all den Marginal Gains erstaunt es mich am meisten, dass Porte und Clarke das Reglement, die Grundlage auf der sie ihren Beruf ausüben nicht kennen. Bei jedem Kirmesrennen heisst es am Start: "Jeder Fahrer fährt auf eigene Rechnung und Gefahr, gefahren wird nach der Sportordnung des Bunds Deutscher Radfahrer, ...". Und selbst wenn man sich als Richie Porte die Paragrafen zur Presse Akkreditierung (2.2.039 ff), die Formvorschriften der Meldelisten (2.2.087) oder die Regeln zu Frauen und Kontinentalteams (2.17.001) schenke, dann muss ich als Berufsradsportler doch wenigsten den Abschnitt lesen, der mit "Rights and duties of riders" überschrieben ist.
Regeln sind Regeln und die sind einzuhalten. Sicherlich wird schon mal das ein oder andere Auge zugedrückt, aber in dem Fall? Wie wir inzwischen wissen, war "Wheel-Gate" ohnehin nur der Beginn einer Pechsträhne und die zwei Minuten ohne Belang.
Welche Autorität hätte ein Kommisär, der einen solch gravierenden und unter Umständen Renn entscheidenden Verstoß nicht ahndet?
Nein, je länger ich darüber nachdenke, der Radtausch zwischen Clarke und Porte war weder fair noch sportlich und wurde völlig zu recht geahndet.
Mehr dazu:
Ein hervorragender Artikel (wie immer) auf inrg.com: "
The Do's and Don'ts of Racing"
Ein Interview mit Herrn Cookson, dem Präsidenten der UCI auf
VeloNews
Hier gehts zu den UCI Reglements,
hier das Reglement für die Straße.
PS.: Ich gehe davon aus, dass jetzt alle Sky Fahrer das Reglement büffeln und von Sir David Brailsford abgefragt werden!