Don't stop me
I'm on the highway to hell
On the highway to hell
I'm on the highway to hell
On the highway to hell
(highway to hell) I'm on the highway to hell
(highway to hell) highway to hell
(highway to hell) highway to hell
(highway to hell)
And I'm goin' down
All the way
I'm on the highway to hell
Aus den Boxen dröhnt in voller Lautstärke
AC/DC's Klassiker. Einen passenderen Song kann man sich schwerlich vorstellen. Es ist kurz nach sechs an einem Sonntag Morgen in Nauders, das Thermometer zeigt gerade mal zehn Grad an, es regnet in Strömen, es gewittert und in weniger als einer halben Stunde startet der Dreiländergiro. Beide Strecken, die kurze Vinschgau und die lange Engadin Runde führen über das Stilfser Joch, mit 2745 m einer der höchsten Pässe Europas. Einige Wochen vorher wurde dort die Prima Coppi des 100. Giro d'Italia ausgefahren, der extra Bergpreis am höchsten Punkt der Rundfahrt. Dort oben sollen es gerade noch 4° sein. Highway to hell!
Das schlechte Wetter hatte sich schon die ganze Woche angedeutet. Am Anfang überwog die Hoffnung, dass sich die Prognose noch mal ändert und das Tiefdruckgebiet erst am Montag oder noch besser gar nicht eintrifft. Je näher das Rennen rückte und je kürzer die Abstände zwischen den Blicken in die Wettervorhersage wurden, umso unausweichlicher war die Tatsache, dass es nass und ungemütlich werden würde.
Für viele zu ungemütlich. Von den weit über 2000 gemeldeten Fahrern fanden sich nur gut 800 am Start ein. Aber bekanntlich ist ja nichts so schlecht, dass es nicht für etwas anderes gut ist. Das schlechte Wetter erlaubte mir, fast aus der ersten Reihe zu starten. Der Beginn des Rennens, die Abfahrt vom Reschenpass,war recht verhalten. Kein Gedränge, kein Geschiebe, keine hektischen Manöver. Der Regen hingegen nahm weiter zu und es goss in Strömen, das Wasser stand nur so auf der Straße. In Prad war ich durchgefroren und froh, dass es endlich aufwärts ging. Zu Beginn des Anstieges schlug nur wenige Kilometer vor uns ein ziemlich massiver Blitz in den Berghang vor uns ein. Wow, das war spektakulär, was für eine Naturgewalt!
Bis kurz nach Gomagoi konnte ich gut mit der etwa 15 Mann starken Spitzengruppe mithalten. Zu meiner Überraschung war hinter uns erstmal keine weitere Gruppe in Sicht. Mir wurde es aber auch bald zu schnell, bis zum Gipfel waren es noch gute 17 Kilometer. Ich lies die Gruppe ziehen und fuhr stoisch mein Tempo. Weiter, immer weiter. Der Regen und die tief hängenden Wolken boten ein imposantes Panorama. Und es herrschte weitgehend Ruhe am Berg. Kaum Autos, noch weniger Motorräder, über Minuten nur die Straße, der Regen und gurgelnde Bäche in dieser grandiosen Berglandschaft. Wann kann man schon mal so ungestört das Stilfser Joch erklimmen?
48 Spitzkehren sind es bis zum Gipfel. Und genauso wie die Zahl der noch vor uns liegenden Kehren abnahm, wurde es immer kälter. Nach 1 Stunde und 40 Minuten war ich oben. Der Garmin zeigte gerade mal noch 2° an und es regnete immer noch sintflutartig. Um die Regenjacke wieder anzuziehen musste ich anhalten, es war nicht so einfach die Jacke aus der Rückentasche zu ziehen und den Reisverschluss zuzumachen, fast hätte ich um Hilfe fragen müssen.
Dann ging es abwärts. Ich hätte ein Königreich für hydraulische Scheibenbremsen gegeben. Vor jeder Kurve das gleiche Schreckenszenario: "Mist, zu spät gebremst, es reicht nicht!" Dann setzte doch noch etwas wie Verzögerung ein und es ging ganz vorsichtig um die Kurve. Und nochmal und nochmal. Ich weiss nicht wie viele Kurven diese blöde Abfahrt hat, gefühlt waren es Hunderte. Die Hände wurden eiskalt und gefühllos, Bremsen ging nur aus dem Unterlenker. Irgendwann haben Hände, Arme, Nacken und Schultern genauso geschmerzt wie vorher bergauf die Beine. Dazu war es unglaublich kalt. Ich zitterte teilweise so, dass das Rad nur noch schwer zu beherrschen war. In Santa Maria zum Ofenpass abbiegen zu können kam einer Erlösung gleich. Alles, nur nicht weiter bergab. Es dauerte eine ganze Weile bis ich zumindest wieder ein wenig warm hatte. Im Schneckentempo und nur noch angetrieben von der Alternativlosigkeit des Weiterfahrens ging es aufwärts. Alles wurde schwierig, die Flasche zu greifen ohne dass sie auf den Boden fällt, den Reisverschluss der Regenjacke zu greifen und aufzuziehen, ein Gel aus der Tasche zu fischen, vom treten gar nicht zu reden. Eigentlich ist der Ofenpass nicht schwierig, an dem Tag wollte er aber nicht enden. Ein paar Fahrer überholten mich. Kurz vor dem Gipfel rief mir jemand zu, dass ich auf dem 15. Platz bin und drei Fahrer 90 Sekunden vor mir sind. Auf Platz 15? So weit vorne?! Beim Dreiländergiro? Da war das Weiterfahren erst recht alternativlos.
Inzwischen ließ der Regen nach und die Straße trocknete ab. Die Abfahrt ging gut, auch wenn einige Autos und Motorräder im Weg waren und etwas Zeit kosteten. Ausgang Zernez konnte ich die Drei sehen, 40 Sekunden waren es noch. Alleine gegen drei und den Gegenwind dauerte es dann aber 30 Kilometern bis kurz vor Scoul bis ich an der Gruppe dran war und etwas Windschatten genießen konnte.
Bis nach Martina und zum Beginn der Norbertshöhe waren es noch 20 Kilometer. Diesen letzten Anstieg bin ich dann in meinem Tempo gefahren und war freudig überrascht, die drei Anderen hinter mir zu lassen. Das würde ja bedeuten ich würde 12. werden? Leider war der Berg länger als noch am Tag zuvor im Training und ich konnte die 300 Watt nicht halten. Zwei Fahrer aus der Gruppe holten noch mal auf, aus einer Gruppe vor uns kam einer zurück. In solchen Momenten werden ja einfachste Rechenoperationen zur Herausforderung: 15 - 3 + 2 - 1 = ??? ... 13?! (Platz 15 auf dem Ofenpass, drei Fahrer abgehängt, zwei kamen wieder von hinten, einer von vorne). Irgendwann war die Passhöhe da, eine kurze Schussfahrt, ich war endlich im Ziel und das auf einem vorderen Platz, mit dem ich im Traum nicht gerechnet hätte.
Die Ergebnisliste im Zelt führte mich sogar auf Platz zwölf und als dritter meiner Altersklasse! Da musste der Saunagang, auf den ich mich seit dem Start freute, doch noch warten. Ich muss zur Siegerehrung! Beim Dreiländer-Giro! Was ja nicht gerade irgendein x-beliebiger Radmarathon ist. Nur, es kam anders. Zu früh gefreut. Die Siegerehrung begann, meine Altersklasse wurde aufgerufen, nur ich nicht. Was war passiert? Das Ergebnis wurde korrigiert, im Internet war ich auf Platz 14. und vierter meiner Altersklasse. Schade, aber nicht weiter schlimm, der Pokal wäre ein schönes Andenken gewesen aber ich war zu langsam. Kann man nix machen. Zack, ab in die Sauna.
Nur, wenn ich jetzt in die Ergebnisliste schaue, bin ich wieder
dritter meiner Altersklasse, auf der Gesamtliste aber immer noch 14ter. Auf der Liste im Zelt fehlte der fünft platzierte Fahrer, dessen Zeiten auf dem Stilfser Joch und im Ziel plausibel sind. Damit wäre ich auch wieder auf Platz 13 gewesen, dem Platz, auf dem ich mich aufgrund der Ofenpass Information wähnte. Auf dem zehnten Platz wird allerdings ein Fahrer gelistet, der erst als 109. und über eine halbe Stunde nach mir auf dem Stelvio war. Um auf eine Gesamtzeit von 6:02 zu kommen, hätte er die gut 100 km ab der Passhöhe fast 30 Minuten schneller als der Sieger Daniel Rubisoier zurücklegen müssen! Dieser Fahrer erscheint aber auch im Ergebnis der Schlechtwetter Klasse auf Platz 22. Dort werden die Fahrer geführt, welche die lange Strecke gemeldet haben, aufgrund des Wetters aber die Kurze gefahren sind. Normalerweise werden diese disqualifiziert, was in erster Linie an den Auflagen der Behörden liegt. Wegen des Regens und der insgesamt wenigen Starter machte man eine Ausnahme und führte ad-hoc diese Schlechtwetter Klasse ein. Bei der Auswertung ist allem Anschein nach etwas schief gelaufen. Hey! Ich will meinen Pokal!
ICH WILL MEINEN POKAL!
Neben der Sauna war dass die zweite Sache, an die ich während des ganzen Rennens denken musste!
Nachmittags schien übrigens wieder die Sonne in Nauders. Bestes Wetter. Die Schlechtwetterfront hat sich genau während des Dreiländer Giros ausgetobt. Eine Woche später war es dann aber nochmal sehr viel schlechter und es gab ordentlich Neuschnee auf dem Stilfser Joch, wie dieses Video zeigt. Es geht also immer noch schlimmer.
Bei solch schlechtem Wetter ist es natürlich entscheidend, was man an Kleidung dabei hat. Ich habe Fahrer gesehen, deren einziger extra Schutz aus einer Windweste bestand. Damit wäre ich nicht über das Stilfser Joch gekommen, vielleicht noch hoch, aber nicht runter. Ich habe angehabt:
- Rennmütze und Helm
- Normales Funktionsunterhemd mit kurzem Arm
- Wiggle RainDefence Trägerhose
- Kurzes Trikot
- Castelli Nanoflex Armlinge
- Café Cycliste Schlechtwetter Trikot (ähnlich Castelli Gabba)
- Regenjacke
- Dünne Regenüberschuhe
- Dünne Handschuhe
- Das Halstuch meiner Tochter (bringt Glück und hat genauere die richtige Größe)
Prinzipiell würde ich wieder das Gleiche anziehen. Wenn es so regnet und so kalt wird wie an diesem Sonntag in Nauders gibt es nichts, was einen über Stunden trocken und warm hält. Dazu muss man auch bei solch extremen Bedingungen damit rechnen, dass es später am Tag wieder besser wird und man dann überschüssige Kleider ausziehen und mitschleppen muss. Einzig bei den Handschuhen hätte ich die dickeren Castelli Strickhandschuhe anziehen sollen, die halten normalerweise ein gutes Stück wärmer als die dünnen Unterhandschuhe, die ich an diesem Tag anhatte.
Was bleibt? Ein unvergesslicher Tag, der zurecht das Attribut "episch" verdient. Jeder Fahrer, der gestartet ist, hat eine tolle Geschichte zu erzählen. Die, die im Bett geblieben sind aber auch. "Könnt ihr euch noch erinnern als 2017 der Dreiländer Giro fast im Dauerregen untergegangen ist? Boaahh, was habe ich gefroren / was habe ich mich da noch mal ins Bett gekuschelt / ...". Die Veranstaltung war super organisiert. Einzig ein Aufkleber für den Vorbau mit dem Profil und den Kilometern hat wirklich gefehlt. Ansonsten: Tipp topp und vielleicht bis 2018 zur 25. Jubiläumsausgabe, dann aber hoffentlich mit besserem Wetter.
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