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Donnerstag, 27. Mai 2021

Giro Lektüre

Jetzt ist der Giro d'Italia 2021 auch schon wieder auf der Zielgeraden. Für Egan Bernal sind die Aussichten auf einen zweiten Grand Tour Sieg nach der Tour de France 2019, trotz des überraschenden Einbruches auf der 17. Etappe, mehr als "rosig". Die letzten Wochen hatten alles, was man sich als Radsport-Fan nur wünschen kann. Einen pfeilschneller Prolog, erfolgreiche Ausreißversuche mit Außenseiter Siegen (Tacoooooooo!), Sprinterduelle, epische Bedingungen mit sintflutartigem Regen, eine Strade Bianche Etappe, unglückliche Stürze (Landa, Buchmann, Sivakov, ...) und das im Radsport unvermeidliche Drama (Bike Exchange versus Pieter Serry), alles war dabei.

Wem das aber immer noch nicht genug Giro ist, dem seien zwei Bücher empfohlen, die beide auf ganz unterschiedliche Art und Weise die Geschichte der italienischen Grand Tour erzählen.



Pedalare Pedalare - A History of Italian Cycling

John Foot, Professor für neuere Italienische Geschichte an der University of Bristol, gibt dem Leser auf gut 300 Seiten einen umfassenden Einblick in die Geschichte des italienischen Radsports mit dem Giro im Mittelpunkt. Das Buch beginnt mit der ersten Ausgabe 1909, die von der Sportzeitung Gazetta dello Sport organisiert wurde. 127 Fahrer starteten am 13. Mai in Mailand, 49 kamen nach 18 Tagen wieder in Mailand an. Auf die Frage wie er sich denn fühle, antwortete der Sieger Luigi Ganna: "Mein Hintern bringt mich um!" ("L’impressione più viva l'è che me brüsa tant 'l cü!", Wikipedia). Das Buch ist aber weit mehr als eine Aneinanderreihung von Radsport Anekdoten. Der Author gibt einen hervorragenden Einblick in die zeitgeschichtlichen Zusammenhänge und lässt den Leser verstehen, warum der Giro etwa einen wichtiger Beitrag zum Selbstverständnis der italienischen Nation geleistet hat. Chronisch entlang der Biografien der großen italienischen Radsportler, ist das Buch in fünf Kapitel unterteilt: Das heroische Zeitalter, Radsport als Massensport, das Goldene Zeitalter, nach dem Goldenen Zeitalter und Das Doping Zeitalter. Im Anhang befinden sich einige interessante Übersichten und umfangreiche Quellen-Verzeichnisse.

Nach der Lektüre erschließen sich viele Details auch des heutigen Radsportes viel besser. So fährt das Team Androni Giocattoli Sidermac etwa auf Bottecchia Rädern. Wenn man die Geschichte von Ottavio Bottecchia aber nochmal gelesen hat, dann ist das nicht nur einfach irgendeine italienische Fahrradmarke, sondern eine wirklich dramatische, heroische und tragische Geschichte.

Das nur auf englisch bei Bloomsbury erschienene Buch lässt sich gut lesen, die gedruckte Ausgabe ist nur noch im Antiquariat zu teils horrenden Preisen erhältlich. Die Kindle Ausgabe kostet bei Amazon derzeit 8,97 Euro.

Gironimo

Eine ganz besonders heroische oder auch furchtbare Ausgabe des Giro war das Rennen 1914. Von 81 Startern schafften es nur acht wieder zurück nach Mailand. Die längste Giro Etappe aller Zeiten mit 430 Kilometer fand in jenem Jahr statt. Das ist umso beeindruckender, wenn man die Räder und Ausstattung der damaligen Zeit in Betracht zieht. Stahlräder, schwer wie Blei, Holzfelgen, Bremsbeläge aus Kork, keine Gangschaltung, Flügelmuttern, Schlauchreifen, schlechte Straßen, Baumwollkleidung, ... kurzum, eine echte Herausforderung. Genau das richtige für Tim Moore. 12 Jahre nachdem sich der Author über die Originalstrecke der modernen Tour de France gequält hat, sollte es nun der härteste Giro aller Zeiten sein. 

Das Streben nach Authentizität fängt mit der Suche, dem Kauf und Zusammenbau eines möglichst original getreuen Fahrrades an. Die eher stümperhaften Versuche als Mechaniker am 100 Jahre alten Material sind eine echte Nervenprobe für den Leser. Auch bei der Ausrüstung macht Moore kaum Kompromisse für mehr Komfort. Letztendlich steht der Author tatsächlich in Mailand am Start zu seinem eigenen Giro à la 1914. Was folgt sind teils haarsträubende Geschichten von aus Weinkorken geschnitzten Bremsgummis, auseinander fallenden Radteilen oder überraschender Streckenführung,  immer verwoben mit den Geschehnissen des Giro 1914 und des Radsports in dieser Zeit. Den Leser lässt dies staunend und mit Respekt für die Leistung der Fahrer aus dieser heroischen Zeit zurück, aber auch immer mit einem Zustand zwischen Lachen und Weinen ob der abstrusen Erlebnisse des Autors.

Die deutsche Ausgabe ist 2014 im Covadonga Verlag erschienen, hat 378 Seiten und kostet als Taschenbuch 14,80.

Links:

Pedalare Pedalare Rezension im Guardian / Verlagsseite

Gironimo - Covadonga Verlagsseite

Donnerstag, 24. September 2020

Der Kahle Berg

Vor ziemlich genau sieben Jahren, am 14. September 2013 ist der erste Artikel auf unterlenker.com erschienen. In Le Géant du Provence / An epic battle ging es um den Tag, an dem ich um die Aufnahme in den "Club des Cinglés du Ventoux" gefahren bin. Dazu muss man den kahlen Riesen an einem Tag von allen drei Seiten erklimmen. Mit dem Rad. 157 km, 4700 hm. Eine ganze Menge Typ 2 Spaß, der ein gewisses Maß an Beklopptheit erfordert. Daher Cinglés du Ventoux, die Verrückten vom Ventoux.

Aber egal wie unerbittlich und gnadenlos sich der Ventoux im Moment der Auffahrt gibt, viele Radfahrer kehren immer wieder zurück und suchen die Herausforderung ein weiteres Mal. Wer aber glaubt, eine schnöde Dreifach-Befahrung wäre irgendetwas besonders Verrücktes (es gibt aktuell 15.269 Cinglés!), der wird bei der Lektüre von Der Kahle Berg eines Besseren belehrt. Es gibt nämlich eine vierte Strecke, die ein MTB oder ein Gravelrad erfordert, damit wird man zum Galérien. Dann kann man natürlich jede der drei asphaltierten Straßen zwei mal an einem Tag hochfahren (Bicinglette). Vielleicht versucht man auch innerhalb von 24 Stunden den Berg so oft wie möglich zu bezwingen (derzeitiger Rekord 11 Mal). Oder man nimmt ein Liegerad. Falls man auch eine artistische Begabung hat, kommt auch ein Einrad in Frage! Es scheint, am Ventoux sind dem Vorstellungsvermögen der Radfahrer keine Grenzen gesetzt.

Rund ein Viertel der Absolventen der drei Prüfungen des Club des Cinglés du Ventoux kommen aus den Niederlanden. Damit stellen unsere Nachbarn die stärkste Nation unter den mehrfachen Ventoux-Bezwingern. Vielleicht ist die Sehnsucht nach dem "Kale Berg" mit der totalen Abwesenheit echter Berge in den Niederlande zu erklären, die vergleichsweise verkehrsgünstige Lage mag ihren Teil dazu beitragen. 

Um die Aktivitäten ihrer Landsleute zu koordinieren, hat sich 2003 die Niederländisch-Belgische Genossenschaft de Kale Berg gegründet. Auf der Homepage des Vereins finden Radfahrer, die des Niederländischen mächtig sind, allerlei Wissenswertes über den windigen Berg in der Provence. Die beiden Gründungsmitglieder der NBG De Kahle Berg Lex Breunings und Willem Janssen Steenberg haben vieles, was sich auf der Homepage findet und zusätzliche Informationen in einem Buch festgehalten. Die inzwischen dreizehnte Auflage ist dieses Jahr im Covadonga Verlag auf Deutsch erschienen. Für alle, die den Ventoux schon gefahren sind, ihn "auf der Liste haben" oder auch nur dem Fernweh nachhängen wollen ist das Der kahle Berg eine ganz große Empfehlung. 

Auf 336 Seiten (plus 32 Seiten Fotostrecke) werden alle Facetten des Ventoux beschrieben. Der Leser erfährt etwas über die Herkunft des Namens, allerlei Interessantes aus der Geschichte des Berges, die unterschiedlichen Angaben zur Höhe, geologische Besonderheiten, die Wälder an den Flanken, die verschiedenen Straßen hinauf und das erstaunlich wechselhafte Klima. Breite Erwähnung findet der unvergessene Tom Simpson und alle anderen Helden der Landstraße. Ein ganzes Kapitel beschäftigt sich mit der Physik des Bergausfahrens. Ein anderes, einschließlich ganz brauchbarer Trainingspläne und Materialtips, der Vorbereitung auf den großen Tag. Empfehlungen zu Touren im Umland und zur kleinen Schwester des Mont Ventoux, der Montagne de Lure wecken Sehnsucht nach einem Trip in die Provence. Den breitesten Raum nehmen aber all die Verrückten ein, die es nicht nur bei einer Befahrung belassen haben, sondern mehrfach, mit den Rad oder in Laufschuhen, den Ventoux bezwungen haben. Zum Ende laden eine ganze Reihe literarische Erwähnungen des Ventoux zum Schmökern ein.

Die Informationen des Buches sind sehr aktuell und entsprechen dem Stand Frühjahr 2020, so findet etwa Nairo Quintanas fabelhafte Bestzeit für die Strecke zwischen Saint-Estève und dem Chalet Reynard von 28:12 im Rahmen der diesjährigen Tour de la Provence Erwähnung.


Das Buch wurde mir von Covadonga als Rezessionsexemplar zugesendet. Die ISBN Nummer ist 978-3-95726-046-8. Das Softcover Buch kostet 19,80 und ist auf Deutsch im Juni 2020 erschienen und ebenfalls als E-Book erhältlich.

A propos Ventoux: The Cycling Podcast hat im August eine Folge für Friends of the Podcast über den Ventoux gebracht. "... this episode looks at the mountain, its stories and its myth." Ebenfalls sehr zu empfehlen: Mont Ventoux: Heat, Wind & Fear

Montag, 1. Juni 2020

Recovery!

Training und Erholung sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Das Eine geht nicht ohne das Andere. Wer immer nur trainiert und den Körper belastet, wird früher oder später unter der Last zusammenbrechen und im schlimmsten Fall mit einem Übertrainingssyndrom enden. Wer sich immer nur erholt und auf dem Sofa sitzen bleibt, tut sich auch keinen Gefallen.

Während im Training nichts ohne harte Arbeit passiert, stehen Sportlern zur Verbesserung der Erholung unzählige Hilfsmittel und Methoden zur Verfügung. Kopfkissen, Matratzen, Kompressionskleidung, Eisbäder, Massagen, Infrarotsaunen, Nahrungsergänzungsmittel, Elektrostimulation, "Recoveryboots", Faszienmassage-Rollen, und und und. Die Liste läßt sich beliebig fortsetzen. Noch länger ist nur die Aufzählung der versprochenen Effekte. Entzündungsprozesse sollen gestoppt werden, Laktat soll verschwinden, Nährstoffe sollen den Körper wieder aufbauen ...

Könnte man all die angepriesenen Effekte kumulieren, der Gewinn der Tour de France wäre ein Kinderspiel. Aber vielleicht wirkt es ja doch? Zumindest ein bisschen? Jeder benutzt doch das ein oder andere Revovery-Tool! Ich etwa habe eine ganze Batterie an Faszienrollen und -kugeln, ein EMS Gerät, eine Matte um den Schlaf aufzuzeichnen und auszuwerten, nehme nach harten Einheiten einen Recoveryshake, ziehe manchmal Kompressionsstulpen an und mache regelmäßig und mit Begeisterung Stretching.

Aber hilft es wirklich? Sind die wissenschaftlich klingenden Marketingtexte der Hersteller belastbar? Wo ist das Geld sinnvoll investiert und wo ist es aus dem Fenster geworfen?


Antworten auf diese Fragen finden sich in dem 2019 erschienen Buch "Good to go - How to eat, sleep and rest like a champion" von Christie Aschwanden. Die Wissenschaftjournalistin und Ausdauersportlerin hat hunderte von wissenschaftlichen Studien gelesen, mehr als 250 Interviews geführt und alle erdenklichen Recoverymethoden im Selbstversuch getestet. Das Buch hat dabei das Zeug, dem Leser in Zukunft viel Geld zu sparen. Denn das Wenigste, was die Recovery-Industrie den Sportlern verkaufen möchte, geht über den Placebo Effekt hinaus. Auf rund 250 Seiten wird insbesondere deutlich, dass viele von Herstellern zitierte "Studien" mit mehr als nur Vorsicht zu genießen sind. Schwaches Design und falsche Fragestellungen lassen Ergebnisse, manchmal unabsichtlich, in einem günstigen Licht erscheinen, sind am Ende aber nicht mehr und nicht weniger als ein Marketing-Gag.

Einen Vorgeschmack auf das Buch bietet das Gespräch zwischen Prof. Ross Tucker und Christie Aschwanden im "The real Science of Sport"-Podcast: Why everything you know about recovery may be BS Absolut hörenswert!

Das Buch ist derzeit nur in der Originalausgabe in Englisch verfügbar. Verlagseite

Montag, 23. Juli 2018

Unterlenker On Air

Heute war ich in Saarbrücken auf dem Halberg und dort zu Gast bei SR2 KulturRadio. Moderator Roland Kunz hat mit mir über "Die Regeln" gesprochen, das kürzlich im Covadonga Verlag auf Deutsch erschienene Buch mit den 95 Velominati Radsportregeln.

Ich habe es mir nicht nehmen lassen für das nur wenige Minuten dauernde Gespräch extra nach Saarbrücken zu fahren. Wenn ich schon mal ins Radio komme, dann will ich auch richtig ins Radio und das Aufnahmestudio von innen sehen und nicht nur telefonieren. Telefonkonferenzen habe ich auf der Arbeit schließlich genug. Auf dem Weg hoch zum Halberg war die Tour de France Bemalung auf der Straße unübersehbar. Das wurde bestimmt für einen schicken Trailer zur Tour verwendet. Vielleicht kennt ihr das aus dem Fernsehen? Das Logo und all die Schrift auf der Straße ist also nicht an einem Anstieg in den Alpen oder kunstvoll virtuell erzeugt, sondern ganz profan in Saarbrücken!



Der Moderator der Sendung hat mich dann schon am Eingang erwartet, es ging ruck-zuck ins Studio, auf dem Weg Shake-Hands mit der Redakteurin und bevor ich überhaupt richtig Luft holen konnte, war die Aufnahme am laufen, die Anmoderation gesprochen und die erste Frage zu beantworten. Ich hoffe ich habe mich ganz gut geschlagen. Beim Schreiben hier im Blog hat man ja immer die Möglichkeit den Text nochmal zu ändern, umzuformulieren, einen Gedanken herauszuarbeiten und präziser darzustellen, wovon ich auch immer reichlich Gebrauch mache. Viele Sätze hier sind mindestens zwei mal geschrieben, oder auch drei oder viermal. Oder werden gelöscht und von vorne begonnen. Im Radio ist das nicht so einfach. Was gesagt ist, ist gesagt. Zumindest war es nicht live und ich hoffe, dass die Redakteurin, die den Beitrag schneidet, genug Verwertbares findet.

Interessant war, wieviel Arbeit hinter so einem Einspieler von wenigen Minuten steckt. Die Redakteurin wurde auf das Velomiati-Buch aufmerksam und versuchte Rainer Sprehe, den Verleger und Übersetzer der deutschen Ausgabe, für ein Gespräch zu gewinnen. Aufgrund von Termin Schwierigkeiten kam dies aber nicht zustande. Herr Sprehe hat allerdings auf den Artikel über das Buch hier im Blog verwiesen. So kam ich ins Spiel. Es folgten weitere Telefonate und eine Terminvereinbarung. Der Moderator bekam ein ausführliches Briefing und Fragen. Das Gespräch wurde aufgezeichnet und wird anschließend nochmal geschnitten, umgestellt und was auch immer die Technikkünstler damit anstellen. Morgen nachmittag geht es dann auf Sendung. Und das alles wird von den paar Euro GEZ Gebühren bezahlt. Nicht schlecht!

Zu hören sein wird der Beitrag morgen nachmittag, dem 24. Juli, zwischen 13 und 17 Uhr auf SR2 KulturRadio. Hier geht es zum Livestream

Wenn es den Beitrag auch später in der Mediathek gibt, werde ich das hier verlinken (oder auch nicht wenn ich mich selber ganz furchtbar finde).

Update 24.07.2018:


Der Blogger auf der linken Seite mit einem klaren Verstoß gegen Regel 50 (Bart!)
rechts Moderator Roland Kunz

Samstag, 30. Juni 2018

95 Regeln - Der Kodex für Radsportjünger

Eines der faszinierenderen Dinge am (Straßen-) Radsport sind die unzähligen Details und Traditionen, die sich über mehr als ein Jahrhundert entwickelt haben und das Erscheinungsbild und die Verhaltensregeln prägen. Ob man sich selbst nun als überzeugten Radsportjünger betrachtet, der die Regeln als die reine Lehre sieht oder ob man das Alles für ausgemachten Quatsch hält ist ein Frage des Selbstverständnisses als Radfahrer. Denn natürlich kann man ganz wunderbar Rad fahren mit Sandalen und Flat-Pedals, mit unrasierten Beinen, mit Kniestrümpfen, mit einem dreckigen Rad, mit einer Satteltasche, mit einem TdF-Replica Trikot oder mit bunten oder sogar weißen Radhosen. In diesem Fall hat man wahrscheinlich aber auch nicht das geringste Verlangen zu der Gruppe der Radsportjünger dazu zugehören und die Regeln dieser versnobten Wannabe Anquetil-Merckx-Hinault's können einem gestohlen bleiben. Diejenigen, denen die Traditionen des Straßenrennsports etwas bedeuten, finden in den 95 Regeln die Niederschrift der Dos and Don't des Radfahrens auf schmalen Reifen.


Nun kann man dem Wortlaut der Regeln sklavisch folgen und sich als spaßfreier Fundamentalist zu erkennen geben oder die Regeln als Leitlinie betrachten, von der man ab und an und mit einem Augenzwinkern auch mal bewusst abweichen kann.

Als ich 2013 zum ersten mal auf die Velominati und die Regeln aufmerksam wurde, war das allermeiste, was diese Amerikaner da aufgeschrieben hatten, für mich schon immer eine Selbstverständlichkeit. In der Tat habe ich den Radsport so gelernt. Schaut euch mal das Bild auf der "Worum es geht" Seite an, entstanden ist es lange bevor es die Velominati überhaupt gab.

  • Regel #14 // Radhosen sollen schwarz sein - check
  • Regel #22 // Radmützen sind fürs Radfahren - check
  • Regel #26 // Mach dein Rad fotogen - check
  • Regel #27 // Hosen und Socken sollten die perfekte Länge haben (nun ja, die Socken sind in der Tat etwas kurz) - trotzdem check
  • Regel #28 // Socken müssen weiß sein - check
  • Regel #36 // Verwende nur richtige Radbrillen - check
  • Regel #45 // Vorbau runter - check
  • Regel #46 // Lenker waagerecht - check
  • Regel #50 // Gesichtsbehaarung ist im Zaum zu halten (damals war das noch einfacher) - check
  • Regel #53 // Halte deine Kleidung sauber und in Schuss - check
  • Regel #60 // Entferne die Staubkappen (auf den Ventilen) - check
  • Regel #65 // Pflege und respektiere deine Maschine - check
  • Regel #73 // Bremszüge sind auf optimale Länge zu kürzen - check
  • Regel #78 // Entferne unnötige Ausrüstung (2. Flaschenhalter ist ab) - check
  • Regel #80 // Sei immer und überall nonchalant - check
  • Regel #90 // Bleibe auf dem großen Blatt - check
Und das sind jetzt nur die Regeln, die man sehen kann. Natürlich ist es eine Selbstverständlichkeit den Ball flach zu halten ("ich bin total außer Form") (#81), vernünftig zu trainieren (#71), die Linie zu halten (#59), das Tempo nicht ruckartig zu verschärfen (#88), nicht das Rad vorzustrecken (no Halfwheeling) (#86), den Müll nicht in die Landschaft zu werfen (#77) und dass man seine Platten selber flicken kann (#83).

Andererseits gibt es auch Regeln, die ich inzwischen als unpraktisch ansehe oder die totaler Quatsch sind. So ist mein Ersatzschlauch nicht mehr immer im Trikot, sondern in einer kleinen Tasche unter dem Sattel (#31). Bei Radmarathons habe ich die Minipunmpe am Rad (#30), im Training fahre ich oft mit Kopfhörern (#62), esse auch was bei Trainingsrunden unter vier Stunden (#91) und fahre bei Regen mit Schutzblechen am Rad. Die N+1 Geschichte (#12) und die ganzen "Harter Hund beisst die Zähne zusammen und das Rad ist wichtiger als die Familie" Punkte (#4, #5, #9, #10, #11, #12) sind offensichtlich nicht ganz ernst zu nehmen, sondern spielen mit dem nicht zu leugnenden Spleen vieler Radfahrer zu immer mehr Fahrrädern und ihrer Glorifizierung der eigenen und fremden Leiden auf dem Rad.

In jedem Fall ist die Lektüre kurzweilig, sorgt für den ein oder anderen Lacher und Gesprächsstoff bei er nächsten Ausfahrt, wenn man sich gegenseitig die Regelverstöße vorhalten kann.

Alle Regeln kann man auf der Homepage der Velominati in Englisch oder seit diesem Jahr auch in Deutsch mit ausführlicher Begründung aller Regeln in dem im Covadonga Verlag erschienen Buch nachlesen. Das Taschenbuch hat gut 300 Seiten und kostet 14,80 Euro, die Kindle Version 9,99 Euro.

Die Original Ausgabe habe ich 2013 (wie die Zeit vergeht) schon mal hier im Blog vorgestellt: Regeln Regeln Regeln.

Das Buch wurde mir vom Covadonga Verlag zur Rezension zur Verfügung gestellt. Dafür vielen Dank.

Links:
Covadonga Verlagsseite zu "Die Regeln"
Velominati Homepage (Nicht zu verwechseln mit der .de Seite gleichen Namens, zu der ich mich hier jeden Kommentars enthalte)

Sonntag, 11. Februar 2018

Lektüre zum Blättern

Es gibt Bücher zum lesen und solche zum durchblättern und schmökern. Zwei der letzteren Sorte habe ich letztes Jahr von guten Freunden zum Geburtstag geschenkt bekommen. Vielen Dank dafür!

"Velopedia, The infografic book of cycling" versammelt auf 191 Seiten Infografiken zu allen möglichen Themen des Straßenrennsports mit einigen wenigen Ausflügen auf die Bahn. Andere Sparten des Radsports abseits der schmalen Reifen bleiben außen vor. Die Arbeit der Grafik-Designer in diesem Buch ist fantastisch. Hunderte von Informationshäppchen und kleinen und großen Fakten werden anschaulich präsentiert. Leider lag der Fokus des Autors Robert Dineen auf gutem Aussehen, die Korrektheit der Informationen hat nur eine untergeordnete Rolle gespielt. 

Auf der Seite "Tour de France in Numbers" etwa werden fünf Fahrer aufgezählt, die die Tour de France fünf mal gewonnen haben: Jaques Anquetil, Eddy Merckx, Bernard Hinault, Miguel Indurain und Maurice Garin. Maurice wer? Genau, der Sieger der ersten Tour de France 1903. Garin hat zwar auch die Tour 1904 gewonnen, wurde aber disqualifiziert, so dass er nur ein einziges mal in der Siegerliste steht. 

Einige Seiten weiter werden die "Nearly-men of the Tour" aufgezählt, also die Beinahe-Sieger. Bei Raymond Poulidor besteht kein Zweifel, dass er in diese Liste gehört, immerhin ist er der "ewige Zweite". Aber Lucien van Impe (Sieger 1976),  Gustave Garrigou (1911), Joop Zoetemelk (1980) und Jan Ullrich (1997) haben die Tour de France tatsächlich gewonnen. In der Tat haben diese Fahrer eine beachtliche Anzahl an zweiten und dritten Plätzen gesammelt, aber eben auch einmal gewonnen. Letzteres wird einfach unterschlagen.

Auf "The calendar decoded" wird der Radsport Kalender mit den verschiedenen Rennkategorien erklärt, die Tour de France, Paris-Nice und Paris-Roubaix werden dort von der ASOS veranstaltet. Der ASOS? Dem Internet Modeversandhändler? Oder ASSOS, der Radsport-Bekleidungsfirma? Oder vielleicht doch der Amaury Sport Organisation, der A.S.O?

In dieser Art gibt es noch weitere Ungenauigkeiten und grobe Fehler. Alle zu entdecken dürfte schwierig sein, aber glauben kann man in diesem Buch gar nichts. So bleiben einfach hervorragende Infografiken, mit k(l)einer Info und großer Grafik. Schade.

Auch in dem zweiten Buch, "50 Bicycles that changed the world" von Alex Newson, einem Kurator des Design Museums in London, habe ich zumindest eine Ungenauigkeit entdeckt. Auf der Seite über "Old Faithful", dem legendären Rad von Graeme Obree, heißt es: "Obree's record stood for just one week before it was broken by the English cyclist Chris Boardman, prompting Obree to return to his workshop and develop a new riding position. Dubbed the 'Superman position' ... " Das ist natürlich totaler Quatsch, die Supermann Position wurde vielmehr durch eine Regeländerung der UCI provoziert und nicht durch den Versuch Obree's, die Aerodynamik zu verbessern. Ansonsten macht es aber großen Spass in dem Buch zu blättern und die Auswahl an Rädern ist tatsächlich gut getroffen. Es findet sich die ganze Bandbreite vom Laufrad, über das Hochrad, Alltagsräder, Liegeräder, Lastenräder. MTB's, Rennräder und bahnbrechende Komponenten wie Campagnolos Gran Sport Parallelogramm Schaltwerk oder Greg LeMonds Aeroaufsatz.

Beiden Büchern gemein ist übrigen das Lotus 108 auf dem Titel. Ich bin ja ein Anhänger des Damantrahmens, aber dieses Rad! Was für ein Geniestreich!





"Velopedia" ist auch auf Deutsch im Delius Klasing Verlag erschienen und kostet19,90 Euro.

"50 Bicycles that changed the world" ist bei Octopussbooks erschienen und kostet original 26 USD, wird bei Amazon UK gebraucht ab 0.39 GBP gehandelt.

Sonntag, 3. Dezember 2017

Draft Animals

My job was done, so the rest was just showing off. I sat low on my bike on the descent, flying into corners I'd memorised hours before, scaring the hell out of everyone behind me. At the bottom, our team was down to me, Howes, and Danielson when Andy Schleck rode up to yell at me. 
  "Hey! Easy on the descents, huh?"
  The Schleck brothers managed to slide under the the radar when the dopers confessed. They were barely capable of results in the post-epo era, but they still acted like stars.
  "Go home, Andy," said Howes. Alex had a thing where every time a Schleck bothered him, he'd politely tell him to go home, like a friend had too much to drink at a party and was embarrassing himself.

Ich bin also nicht der einzige, dem von einem der Schlecks zu schnelles Abfahren vorgehalten wurde. Mich hatte es letztes Jahr beim Gran Fondo Schleck erwischt. Scheinen also keine Freunde einer schnellen Abfahrt zu sein, die beiden Luxemburger. :-)

Die zitierte Passage stammt aus Draft Animals - Living the Pro Cycling Dream (once in a while), dem neusten Buch von Phil Gaimon, dessen erstes Buch Pro Cycling on 10$ a Day ich hier auch schon vorgestellt habe. In Draft Animals erzählt Gaimon wie er es schließlich doch in die World Tour schafft und Profi für Garmin Sharp wird, wie er mit dem Sieg bei der Auftaktetappe der Tour of San Luis einen fantastischen Einstand feiert und  gegen Nairo Quintana um den Gesamtsieg kämpft. Am Ende eines soliden ersten Jahres in der World Tour kommt ihm die Fusion von Garmin-Sharp und Cannondale in die Quere und er kann keinen der knappen Plätze für die Saison 2015 ergattern.
Es folgt ein Jahr auf Pro-Continental Level mit Optum, in dem er alles auf eine Karte setzt, seine Firma und Coaching-Business aufgibt und sich 100% auf den Radsport konzentriert. Am Ende erhält er ein weiteres Mal die erhoffte Chance und Jonathan Vaughters gibt ihm einen Einjahresvertrag. Die Saison verläuft nicht wie erwartet. Zu viele Sponsoren-Verpflichtungen und zu wenige Renneinsätze, zu wenige Gelegenheiten sich zu beweisen. Ende 2016 gibt es eine weiter Fusion, diesmal zwischen Cannondale und Drapac, einem australischen Pro-Continental Team. Wieder sind die Plätze knapp und andere Optionen platzen wie Seifenblasen. Gaimon schlägt die Pro-Continental Angebote aus und setzt sich zur Ruhe, oder, treffender gesagt, beendet seine Profikarriere.


Das Buch ist eine fantastische Lektüre. Phil Gaimon hat einen College Abschluss in English und hat das Buch selber geschrieben, ganz ohne Ghost Writer, der ja bei den meisten Radsport-Biografien zum Einsatz kommt. Er plaudert unterhaltsam aus dem Nähkästchen und hält mit seiner eigenen Meinung nicht hinter dem Berg. Gaimon lässt seine Leser lachen und weinen (kein Witz! Auf Seite 319 habe ich 'ne Träne verdrückt). Man bekommt einen ungefilterten Einblick in das Leben eines Berufssportlers, der nicht die grossen Rennen gewinnt, sondern für andere arbeitet. Der einfach den Job macht der ihm zugeteilt wird. Als Kletterer in Paris Roubaix an den Start gehen? Kein Problem. Flache, windige, belgische Etappenrennen? Kein Problem. Jede gute Leistung birgt die Hoffnung in die Auswahl für die großen Rennen zu kommen: Die Tour de Suisse, die Vuelta, die Baskenland Rundfahrt. Aber immer und immer wieder geht geht etwas schief. So ist das Buch auch eine endlose Aneinanderreihung von "was wäre wenn" Situationen. Immer wieder denkt man, ah, so ein Pech, das hätte anders ausgehen können. Keine der Biografien, die ich bisher gelesen habe, zeigt so deutlich wie fragil, von Zufällen abhängig der Erfolg im Profiradsport ist.

Manchmal treibt es Gaimon mit dem Tratsch etwas weit, etwa wenn er die Geschichten über Fabian Cancellara zum Besten gibt, nach denen der Schweitzer zeitweise ein E-Bike gefahren sein soll und sich hinter dem Luigi Pseudonym auf den Fuentes Blutbeuteln verbirgt. Er schreibt:
".. I'm pretty sure that the blood bags code-named 'Luigi' belonged to Cancellara, .." Später im Buch heißt es dann, das Thomas Dekker zugegeben hat Luigi zu sein. Somit ist das erste Statement natürlich wider besseren Wissens erfolgt. Nicht so schön. Ich fand es erstaunlich, dass die Motor-Geschichte so viele Wellen über die Radsport Medien hinaus geschlagen hat, nicht aber die Blutbeutel-Zuschreibung. (BBC, NZZ, CyclingNews, CyclingNews) Unterhaltsam war es aber auf jeden Fall.

Im ersten Teil des Buches schreibt Gaimon über das Leben in der "Post-Dopocalypse". Wie kann man als Fahrer, der seine Einstellung gegen Doping mehr als deutlich äussert und sogar ein "Clean" Tattoo auf dem Arm hat, mit Ex-Dopern befreundet sein? Seine Freundschaft mit Tom Danielson wird ihm oft vorgehalten. Aber wie ich vor kurzen in dem Post über Startverbote für Ex-Doper auch schon festgehalten habe, das Leben ist nicht nur schwarz und weiß. Wenn man als Radsportler im Profizirkus sein Geld verdienen möchte, wird man zwangsläufig mit vielen Menschen zu tun haben, die mehr oder weniger "Dreck am Stecken haben". Von seinem damaligen Coach Matt Koschara bekam Gaimon folgenden Rat:

"The way the sport is right now, if you can't be friends with dopers, you might as well quit," he said. "No WorldTour team will hire a guy with a CLEAN tattoo if they think you hate their managers and half their riders."

Besonders eindrucksvoll sind Einführung und Nachwort, in denen er mit der alten Weisheit aufräumt, nach der man nur hart genug arbeiten muss um seine Träume zu realisieren.

When I was a kid, celebrities and athletes told my generation to never give up on our dreams, promising that if we dug deep and believed in ourselves, we could also achieve great things. It sounds nice, but they left out that for every big winner, there were thousands who put in the same effort, but just weren't good enough. The losers don't get a microphone to tell their story, so you don't realise how much failure is out there and your perspective is skewed.

Eine Karriere im Sport, das macht das Buch mehr als deutlich, ist ein aussichtsloses Unterfangen mit minimalen Erfolgsaussichten. Wenn man die Wahl hat und sich für ein geregeltes Leben entscheidet, muss man kein schlechtes Gewissen haben. Das ist mehr als vernünftig. Warum Gaimon trotzdem dem Traum nachgejagt ist?

I didn't decide to follow a dream - I was kidnapped by it

Das Buch ist bei Pinguin Random House erschienen und hat 320 Seiten. Bei Amazon kostet das Taschenbuch 20,53 Euro, die Kindle Ausgabe 10,76 Euro und das vom Author selber gesprochene Hörbuch als Audio-CD 49,50 Euro. ISBN-13: 978-0143131243

Links:
Verlagsseite
Gaimons Homepage philthethrill.net
Velonews Podcast Gaimon Controversy
Cycling Tips Podcast Motors

Sonntag, 6. August 2017

DNF - Dienstreise nach Frankreich

Sebastian Paddags aka "Paddi mit i" ist ein ehemaliger Radrennfahrer und heute als Moderator und Streckensprecher immer noch im Radsport aktiv. Als Junioren und U23 Fahrer fuhr er mit einigen der aktuellen deutschen World-Tour Profis in einer Mannschaft und hat so beste, freundschaftliche Kontakte in der Szene. 2016 bekam er die Gelegenheit als Fahrer der Projektleiterin von Tissot, einem der Hauptsponsoren der Tour, die Frankreichrundfahrt Backstage zu erleben. Über das dreiwöchige Abenteuer auf Frankreichs Straßen hat Sebastian Paddags in täglichen Blogbeiträgen auf radsport-news.com berichtet.

Die gesammelten Blogbeiträge sind dieses Jahr als Buch erschienen. In 31 Kapiteln auf knapp einhundert Seiten mit zahlreichen Bildern erzählt Paddags vom Leben in der Tour Karawane.

Leider wird deutlich, dass einen Blog und ein Buch zu schreiben zwei verschiedene Paar Schuhe sind. Was als täglicher Informationshappen im Internet schnell und einfach konsumiert ist, ist in Buchform in erster Linie eine Aneinanderreihung von Belanglosigkeiten. Man erfährt dass Caro, die Tissot Frau, einen Bürotag macht und dass Caro wichtige Leute trifft. Man erfährt dass John Degenkolb im Village du Tour Gummibärchen isst und dass Andre Greipel und Marcel Kittel zusammen Kaffee trinken, dass die ARD Paddags nach Telefonnummern fragt und was den VIP-Gästen von Tissot beim BBQ an der Strecke kredenzt wird. Man erfährt in jedem zweiten Kapitel von welcher Marke das Fahrzeug ist, das Paddags fahren darf und wie toll es ist.
Daneben sind viele der Sätze eine Aneinanderreihung von umständlichen Formulierungen und mit  Füllwörtern aufgebläht. Dem Buch hätte ein stringentes Redigieren durch einen erfahrenen Lektor mit Sicherheit gut getan. Vielleicht ist dies ja erfolgt, das kann ich natürlich nicht wissen. Da das Buch aber im Eigenverlag erschienen ist, spricht genauso wenig dafür wie das finale Ergebnis.

Die Texte werden durch zahlreiche Bilder ergänzt. Viele fangen die Stimmung rund um die Tour gut ein, kommen aber nie an die extraordinäre Arbeit etwa von Jered und Ashley Gruber heran. Leider werden die allgemeinen Tour Bilder durch eine inflationäre Anzahl von Selfies des Autors ergänzt. Paddi mit Andre Greipel, Paddi mit Nairo Quintana, Paddi mit Chris Froome, Paddi mit Skoda Trikots, Paddi mit Simon Geschke, Paddi im Regen, Paddi mit Marco von der ARD, Paddi mit Robert Wagner, Paddi am Streckenrand, usw. Ich habe ganze 38 (in Worten: Achtunddreißig) Selfies gezählt.

Trotzdem ist die eine oder andere Anekdote lesenswert. Die strikte Verkehrsregelung in der Karawane mit null Promille Blutalkohol, Tempolimits und Überholregeln war mir in dieser Form neu, ebenso, dass bei Verstößen Fahrverbote verhängt werden. Tratsch-Geschichten wie dass Mark Cavendish eine Etappe nur mit einer endlos langen sticky Bottle überstanden hat, werden leider nur mit einem Satz erwähnt.

Am Ende wird aus "DNF - Dienstreise nach Frankreich" doch noch ein "DNF - Did Not Finish", da Paddags statt nach Paris im Auftrag von Tissot ein Wohnmobil nach Valencia überführen muss.  Das Kapitel der letzten Etappe schreibt daher der Sieger der Paris-Etappe, André Greipel.

Fünf Euro des Verkaufspreises von 25 Euro gehen an radsport.land, einer Initiative zur Förderung des Radsport-Nachwuchses in Deutschland. Ob dies alleine schon den Kauf des Buches rechtfertigt, muss jeder für sich selber wissen. Ich würde mir das Buch nicht ein zweites mal kaufen.


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Freitag, 21. April 2017

Eine Radsport-Wallfahrt

In 27 Kapiteln berichtet Lidwey van Noord von ihrer Wallfahrt zu den historischen Stätten des Radsports in Italien. Sie besucht die Geburts- und Sterbeorte von grossen Champions, die Museen, die zur deren Ehren eingerichtet wurden, legendäre Anstiege, die Geschichte schrieben, sucht die Reliqien der grossen Tragödien des Sportes, trifft pensionierte Radprofis und sucht nach den Geschichten hinter der Geschichte, nach der Seele des italienischen Radsportes.

So erfährt man vieles über Binda, Bartali, Coppi, Pinarello, Nencini und viele andere, was selbst eingefleischten Kennern neu sein dürfte. Etwa die Geschichte des Maglia Nera, des schwarzen Trikots mit dem zwischen 1946 und 1951  der letzte Fahrer des Giro d'Italia ausgezeichnet wurde. Es gab damals obskure "Wettkämpfe" um die langsamste Zeit, in denen Fahrer Defekte vortäuschten, Pausen einlegten und Fans zu Hause besuchten. Das allerletzte schwarze Trikot gewann Giovanni Pinnarello, noch heute kann diese Trophäe in der Firmenzentrale in Treviso bestaunt werden. Das Startkapital zu Pinarellos Werkstatt war übrigens eine Prämie, die er von seinem Team erhielt um nicht (!) beim Giro d'Italia anzutreten und Platz für einen jungen, hoffnungsvollen Fahrer zu machen.

Neben all diesen Radsport Anektoden geht Lidwey van Noord auch immer auf das ein, was Italien ausmacht, auf die Unterschiede zwischen Oben, dem rationalen (für italienische Verhältnisse), geschäftsmäßigen, schweigsamen und reichen Norden, und Unten, dem lauten, herzlichen, chaotischen, armen und zurückgebliebenen Süden. Sie beschreibt die Regionen und Orte mit ihren Charakterzügen, Eigenarten und ihrem Selbstverständniss, in dass natürlich auch die Radsportler eingebettet sind. Erst 2007 gewann mit Danilo di Luca ein Fahrer aus dem Süden den Giro. Alle früheren Giro-Sieger stammten aus dem Norden. Man versteht besser welche Last auf Fahreren wie Marco Pantani gelegen hat, die mit den Erwartungen einer ganzen Nation konfrontiert waren.


Van Noord lässt dabei auch unangenehme Themen nicht aus und spricht mit Eddy Mazzoleni genauso über Doping wie sie Pantanis Drogen Missbrach beschreibt. Dabei verklärt und beschönigt sie nichts, wie man es vielleicht von einem eingefleischten Fan, einem Pilger, erwarten würde. Auf der anderen Seite richtet sie aber auch nicht. Eine wohltuende Abwechslung in der oft schrill geführten Debatte zu diesem Thema.

Ich hätte jetzt gerne geschrieben, dass mir diese oder jene der 27 Geschichten am besten gefallen hat, aber es ist nicht möglich eine einzelne Episode hervorzuheben, wo eine besser als die andere ist.

Das Buch wird abgerundet durch die eindrucksvollen Bilder meist menschenleerer Landschaften und Orte. Die meisten von Robert Jan van Noort, aber auch eine Reihe anderer Fotografen haben Arbeiten beigesteuert, in Radsportkeisen am bekanntesten düfte Gruber Images sein, von denen auch das Umschlagfoto stammt.

Noch ein Wort zu dem Buch selber. Genauso wie die Texte und die Bilder spielt auch die Ausführung auf höchstem Niveau. Das Papier ist herrlich dick, von besonderer Qualität und bringt die Bilder sehr gut zur Geltung. Der gewählte Schriftsatz macht das Lesen leicht. Ein gutes Buch ist doch immer wieder etwas Schönes und mit der kalten Haptik elektronischer Medien nicht im Entferntesten zu vergleichen.


Das Buch hat in der gebundenen Ausgabe 208 Seiten und ist auf Deutsch am 03. April 2017 erschienen. Der Preis beträgt 24,80 Euro. Ein E-Book ist ebenfalls erhältlich

Covadonga hat mir das Buch unaufgefordert als Rezessionsexemplar zugesendet. Dafür vielen Dank, ich habe mich ehrlich gefreut. Meine Meinung und diese Rezension sind davon natürlich trotzdem unbeeindruckt.

Links:
Verlagsseite mit einer Leseprobe
Homepage der Autorin, Lidwey van Noord
Homepage des Fotographen, Robert Jan van Noort

Donnerstag, 16. März 2017

Wasserträger

Ein guter Wasserträger ist für den Erfolg eines Champions im Radsport unerlässlich. Dabei bringt er seinem Kapitän nicht nur das sprichwörtliche Wasser, sondern spendet Windschatten, setzt Ausreißern nach und schliesst Lücken, fährt selber Attacken um die Konkurrenten zu zermürben und gibt sein Rad seinem Leader, um an dessen Stelle auf den Materialwagen zu warten. Trotzdem stehen Wasserträger immer im Schatten des Erfolges und bleiben für die große Masse des Publikums namenlos. Denn obwohl der Sieg des Kapitäns ohne seine Domestiken kaum möglich wäre, steht dieser am Ende alleine auf dem Podest, bekommt die Blumen, die Trophäe, das Trikot, die Aufmerksamkeit und steht für alle Zeiten in der Siegerliste des Rennens.

Einen seltenen Moment des Ruhms erfährt der Wasserträger, wenn sein Leader eine große Landesrundfahrt gewinnt und die ganze Mannschaft gemeinsam, Hand in Hand, nebeneinander über die Prachtboulevards von Mailand, Paris oder Madrid rollt. Aber selbst die Mannschaftswertung hat dann nur noch vergleichsweise wenig Renommee.

Fahrer, die in dieser Rolle aufgehen und ihre eigenen Chancen dem Erfolg der Mannschaft total unterordnen, müssen schon aus besonderem Holz geschnitzt sein. Denn von der reinen Leistungsfähigkeit sind sie kaum schlechter als die späteren Sieger. Aber die Verantwortung des Siegen-Wollens, des Siegen-Müssens zu tragen, das ist eine Bürde die für manche zu schwer ist.

Ein solcher Fahrer war Charles Wegelius. In dem Buch "Domestik" erzählt er zusammen mit seinem Co-Author Tom Southam seine Geschichte, die eines Wasserträgers, eines erfolgreichen Profis ohne auch nur einen einzigen Sieg.


Das Buch beginnt damit, wie Charly, zu der Zeit noch ein Junioren-Fahrer, von seiner Mutter auf dem Parkplatz vor der Teamunterkunft von Vendée-U, der besten französischen Amateurmannschaft, abgesetzt wird. Nur mit einer lockeren Zusage nach einem handschriftlichen Briefwechsel ausgestattet, tritt er seinen Weg in den europäischen Profizirkus an. Angetrieben von einem bedingungslosen Ehrgeiz Radprofi werden zu wollen, ist kein Training ist zu hart, keine Unterkunft zu schlecht und kein sportlicher Leiter zu launisch. Wegelius passt sich an bis zur Selbstverleugnung. Nachdem er die Junioren Konkurrenz nach Belieben beherrschte, wird er in seinem ersten Männer Jahr gleich in das kalte Wasser geworfen und starten mit der ersten Mannschaft von Vendée-U bei den grössten französischen Rennen. Hoffnungslos überfordert verlässt er in seinem zweiten Amateur Jahr Frankreich und kehrt nach Großbritannien zurück, wo British Cycling gerade ein neues U23 Nachwuchsförderprogramm auflegt. Wegelius kann sich schliesslich auch auf der internationalen U23 Bühne behaupten und ergattert einen Vertrag bei Mapei, dem damals grössten Team im Profizirkus.

Die folgenden Jahre halten dann viele Rückschläge bereit. Kleinere Teams, schlechte Verträge, billige Unterkünfte und in endloser Schleife Training, Rennen, Training, Rennen. Immer in der Hoffnung auf einen besseren Vertrag oder doch zumindest irgendeinen Vertrag für die folgende Saison.

Wegelius schreibt nüchtern, offen und detailreich über das ganz und gar nicht glamouröse Leben eines Berufsradfahrers im Dienste der Kapitäne. Dabei fand ich besonders die Einblicke in das soziale Gefüge und die Hierarchie innerhalb des Pelotons interessant. Wer in den 2000er Jahren Radprofi war und darüber ein Buch schreibt, kann Doping natürlich nicht ganz ausblenden. In "Domestik" geht es aber nur am Rande darum, das Thema wird gestreift und zur Kenntnis genommen. Wer damals als Radprofi sein Geld verdienen wollte, musste nicht zwangsläufig selber dopen, aber die pharmazeutische Nachhilfe der Anderen als Tatsache akzeptieren. Es ist angenehm, neben all der Effekthascherei und den Sensationsgeschichten mal einen anderen Betrachtungswinkel vorzufinden.

Am Ende begegnet Wegelius seinem Glück auch abseits des Rennsattels und beginnt immer mehr mit der egoistischen und egozentrischen Welt des Profiradsports zu hadern. 2011 beendet er seine aktive Karriere und ist seitdem als Sportlicher Leiter für Slipstream Sports aka Cannondale Drapac tätig.

Das Buch ist kurzweilig und interessant zu lesen, besonders gut gefallen hat mir aber, dass ich zwei persönliche Verbindungen zu Wegelius' Geschichte habe. Unsere Wege haben sich einmal gekreuzt und ein anderes Mal bin ich als Domestike für eine seiner späteren Mannschaft gefahren. Was genau damals passiert ist, dazu mehr im nächsten Post: Stay tuned!

Links:
Domestik von Charly Wegelius ist im Covadonga Verlag erschienen, hat 304 Seiten und kostet 16,80 Euro.
Buch Besprechung bei Zeit Online
Charly Wegelius' Wikipedia Artikel
Procycling Stats

Freitag, 17. Juni 2016

The Art of the Jersey

"The Art of the Jersey" ist ein dieser Tage erschienenes Buch über das wichtigste Stück jeder Radsport Garderobe: Das Trikot. Auf über 200 Seiten präsentiert Andy Storey ebensoviele Trikots von den 1950er Jahren bis heute. Die meisten davon sind aus seiner eigenen Sammlung. Zu jedem der Trikots gibt es neben dem Bild das Jahr, den Hersteller, das Rad auf dem das Trikot gefahren wurde, bekannte Fahrer und eine knappe Beschreibung mit Hintergrund Informationen.

Auf dem Klappentext steht:

"In a sport stripped of all but the most essential kit, the cycling jersey is the source of style in the peloton. This book is a celebration of some of the greatest jerseys from the past 40 years, featuring key information and analysis of over 200 examples from around the world - including rare collectors' items, cutting-edge technology, and some of the most iconic designs ever created"


So lese ich zum Beispiel gerade auf Seite 83 zu dem Mapai Trikot von 1996, dass dieses eines der ersten Trikots war, von dem der Hersteller (Sportful) eine Replika Version zum normalen Verkauf angefertigt hat. Damals war es wohl noch ziemlich unüblich Profiltrikots kaufen zu können.


Das Buch hat einen festen Einband, ist 21x21 cm groß, wiegt beachtliche 730 gr. und ist auf Englisch geschrieben. Erhältlich ist es direkt bei Andy Storey's Arbeitgeber Prendas Cyclismo (15,00 GBP) oder natürlich bei Amazon (Kindle 12,99 / Gebunden 23,89).

Hier ein Review bei road.cc mit den zwölf Lieblingstrikots von Andy.

Ich werde in den nächsten Tagen auf jeden Fall viel Spaß beim Schmökern haben bevor es als Geburtstagsgeschenk wieder weiter wandern wird! Gut, kann sein dass ich mir dann doch noch eine eigene Ausgabe kaufen muss, das Buch ist nämlich wirklich super.

Sonntag, 22. Februar 2015

Faster

Michael Hutchinson (HomepageTwitter) ist ein britischer Zeitfahrspezialist der sich auf die Suche nach dem Erfolgsgeheimnis der Spitzenathleten begeben hat. Dazu muss man wissen, das Hutchinson zwar unzählige britische Meistertitel über alle Distanzen von 10 bis 100 Meilen hat (16 - 160 km), aber nie den Sprung auf die ganz große internationale Bühne schaffte.

In seinem 2014 erschienenen Buch "FASTER" begibt sich Hutchinson auf die Suche nach dem, was die absoluten Top Athleten ausmacht. Und er erzählt was er alles selber unternommen hat um auch das letzte Watt aus seinem Körper und aus seinem Equipment herauszupressen. So hat er zum Beispiel über Jahre in einem Zelt geschlafen, das Höhenluft simuliert, in dem es den Sauerstoffgehalt im inneren reduziert. Der Nachteil ist, dass es im Sommer unglaublich heiss ist, im Winter dagegen kondensiert die Atemluft und macht wacht irgendwann in einem feuchten Bett auf, dazu macht die Pumpe einen Lärm wie Aussenbordmotor. Nach vielen Jahren hat er dann während der Recherchen zu FASTER erfahren, dass bei solchen Zelten eine wesentliche Komponente fehlt: der niedrige Druck! In der Höhe ist nämlich nicht nur der Sauerstoffgehalt in der Luft niedriger sondern auch der Druck. Und nur wenn beides zusammenkommt, hat das ganze den gewünschten Effekt.

I lived in a world where, one way or another, everything was divided into things that might make me faster and things that might make me slower. Pretty much anything pleasant fell into the second category. Eating sensibly makes you faster. A couple of beers make you slower. A quiet evening with your feet up to recover from a hard day on the bike makes you faster. A night out with your friends makes you slower. But misery and loneliness make you slower too. You don’t have to be happy, and you almost certainly aren’t, but you have to be able to function sufficiently to get up, have a kilo of porridge for breakfast, and get on your bike. Even the most committed have to choose between speed and sanity. So the question is: how much more committed will you be to next week’s workload if you go out for a drink, and try to get riding right, eating right and thinking right out of your mind for an hour or two? Will you lose 3% of the week’s progress, but gain 4%?

In einem Abschnitt berichtet er über sein Gespräch mit Dan Hunt, dem Trainer des britischen Bahnvierers. Hunt erzählt, dass 2008 die Mannschaftsverfolgung als eines der Zeile für die Olympischen Spiele 2012 in London definiert wurde. Um zu gewinnen sah man eine Zeit von unter 3:50 als Notwendigkeit an. Das war dann der Ausgangspunkt, von dem aus die Mannschaftsverfolgung in Einzelteile zerlegt und berechnet wurde. Wie schnell die erste, die zweite und die folgenden Runden gefahren werden mussten. Wie stark der führende Fahrer beschleunigen muss und wieviel Watt dazu notwendig sind (1500). Habt ihr gewusst, dass ein Bahnvierer bei jedem Wechsel rund 2 Meer verliert? Nicht an Geschwindigkeit, sondern einfach weil der erste Fahrer ausschert und der zweite Fahrer, die neue Spitze, zwei Meter weiter hinten ist. Wenn man jetzt über die 4000 Meter einige Wechsel einspart, hat man am Ende schnell 10, 20 Meter gewonnen. Die Zahlen und Leistungswerte, die Präzision und Genauigkeit sind atemberaubend.

Das Video von London kann man nicht einbinden, danke IOC! Daher hier das Finale der WM in der Mannschaftsverfolgung 2015 von dieser Woche.


Und so geht es über alle 225 Seiten. Kein Thema bleibt ausgespart. Aerodynamik, Gewicht, Ernährung, Training, Gene, Psychologie. Dabei ist das Buch kein Ratgeber, annähernd nichts von dem was Hutchinson herausgefunden hat, kann ein Amateursportler verwenden. Aber es ist faszinierend, was die Besten der Besten zu leisten im Stande sind und was einen Spitzenathleten zu einem wahren Champion macht.

Ein absolut lesenswertes Buch, bis jetzt nur in der Originalausgabe auf Englisch verfügbar.

Amazon (Kindle 12,56 Euro / Taschenbuch 12,51 Euro)
Verlag
Hutchinsons Homepage, Twitter

Montag, 4. August 2014

Muskeln sind nicht aus Keksen gemacht.

Ich habe die letzten Tage so verbracht, wie man Urlaub verbringen sollte: Im Standkorb mit einem Buch. Eines der Bücher die ich zu Ende gelesen habe ist

Pro Cycling on $10 a day
From Fat Kid to Euro Pro
von

Phil Gaimon begann erst 2004 im Alter von 18 Jahren mit dem Radfahren mit dem Ziel abzunehmen. Doch dabei bleib es nicht. Ein Schritt folgte dem anderen und 10 Jahre später unterschrieb er seinen ersten Pro-Tour Vertrag bei Garmin-Sharp. Radsport-Bücher wurden in den letzten Jahren ja zuhauf veröffentlicht, oft ging es dabei um Doping, meist geschrieben von überführten Dopen, die den Betrug somit noch einmal versilberten. Kaufen kann man diese Bücher trotzdem und lesen allemal. Einige sind wirklich interessant und tragen zum Verständnis der Misere des Radsports bei. 

Ganz anders das Buch von Gaimon, das er selber und nicht ein Ghostwriter geschrieben hat. Von Anfang an lässt er an seiner Überzeugung sauber zu fahren keinen Zweifel aufkommen und immer wieder benennt Gaimon Doping als dass was es ist: als Betrug. Deutlichstes Zeichen dafür ist das Tattoo einer Seife mit der Aufschrift "clean" auf der Innenseite seines Bizeps (dort sieht man es wenn die Arme zum Sieg die Höhe gereckt sind). 

Gaimon erzählt von seinem Weg durch die Amateurklassen bis zu seinen ersten Profiverträgen. Er gibt einen unverstellten Einblick in den Profiradsport in den Klassen unterhalb der ProTour. Wie schlecht die Fahrer bezahlt werden. Wie schlecht die Mannschaften gemanagt werden. Das Leben aus dem Koffer in billigen Motels, auf Sofas und unterhalb des Existenzminimums. Trainingslager, Stürze, Verletzungen, das Bangen um einen neuen Vertrag, gebrochene Versprechen. Aber auch die Befriedigung etwas wirklich Besonderes machen zu können, seiner Leidenschaft zu folgen und bei allen Widrigkeiten und Entbehrungen doch immer besser zu werden. Angereichert wird die Geschichte durch unzählige Anekdoten aus dem Rennfahrer-Alltag.

Entlang seines Weges lernt er mühsam, was alles dazu gehört ein echter Profi zu sein, was es ausmacht besser zu sein als andere. An einer der Stellen die ich markiert habe berichtet er, wie Jeremy Powers (US CX Champion) für eine Weile bei ihm wohnt. Powers entdeckt, dass Gaimon's Kühlschrank immer so gut wie leer ist, da Gaimon als Kletterer versucht sein Gewicht um jeden Preis niedrig zu halten. Als Power's sieht, wie er sich wiegt sagt er:

"Phil, it's December! You don't need to be worrying about your weight right now. You need to eat when you train an get that power up. Feed the beast! Take that scale out again and we'll see what your  front teeth weigh! It's time to get serious!"

Aber man sollte viel essen nicht mit wahllos essen verwechseln. Als Gaimon Powers darauf hin  einen Cookie anbietet, lehnt dieser ab.

"Why not?" I asked, "You said I need to eat more."
"Because I'm trying to win a national championship. I didn't mean you should eat more crap. Muscles aren't made out of cookies."

Der Spruch ist jetzt immer vor meinem geistigen Auge wenn ich selbst zu Keksen, Kuchen, Eis, Schokolade oder einer Kombination aus all dem greife. Verdammt. Leider hält er mich zu selten davon ab, macht aber jedes mal ein schlechtes Gewissen.

Lange Rede, kurzer Sinn: Ein kurzweiliges, leicht zu lesendes Buch mit dem klaren Statement, dass man es im Radsport auch ohne Doping bis in die höchste Liga schaffen kann.

Phil Gaimon's Webseite, dort kann man das Buch auch in einer signierten Variante kaufen, ein Ausschnitt  lesen oder hier via Amazon kaufen.

Montag, 23. Juni 2014

Hätte ich das mal früher gewusst

Gestern habe ich ein Buch zu Ende gelesen:

Reading the Race
von Jamie Smith und Chris Horner

Worum geht es. Jamie ist ein altgedienter Rennsprecher und Amateur Rennfahrer und er schreibt über Radrennen. Chris Horner ist der Co-Author und steuert die ein oder andere Anekdote bei. In dem Buch geht es von vorne bis hinten darum, wie man Rennen fährt. Es geht nicht um Training (bzw. nur am Rande) und es geht auch nicht um Material oder wie ein Rad eingestellt wird, wie man sich anzieht oder all die anderen Themen, die in Radsport Büchern gerne angesprochen werden. Nein, Radrennen und sonst nichts. Das aber mit allen Finessen.

Jamie schreibt in seinem Vorwort, dass der Radsport heute immer wissenschaftlicher wird. Räder und Positionen werden im Windkanal optimiert. Carbon überall. Leistungsdiagnosen, Laktat-Messungen und VO2 max Werte. Einlagen in den Schuhen. Aerohelme, Aerofelgen. Powermeter. Und Dank Garmin, Strava und Co. stehen uns immer mehr Daten zur Verfügung die analysiert werden wollen. Darauf aufbauend werden dann ausgefuchste Trainingspläne nach den neusten sportwissenschaftlichen Erkenntnissen erstellt.

Und all die Radsport Zeitschriften und Internetseiten füttern uns mit immer neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen die uns noch schneller, ausdauernder und und in jedweder Beziehung besser machen sollen. Aber, und das ist Jamies Punkt, wie man Rennen fährt, wie man Rennen gewinnt, dass weiß keiner der Wissenschaftler und dass steht in keiner Zeitschrift. Wie man in einem Zeitfahren am schnellsten von A nach B kommt ist die Disziplin im Radsport, die sich am ehesten planen und berechnen lässt. Aber sobald zwei Mann gegeneinander fahren, kommt das unendliche Feld der Taktik hinzu. Und die Taktik ist dass, was den Radsport so unvergleichbar macht. Ein lebendiges Schachspiel. Welcher Fahrer hat heute etwas vor? Wer ist hier zu Hause und möchte vor heimischem Publikum glänzen? Wer  hat in den letzten Wochen gute Form bewiesen. Wird es auf einen Sprint hinauslaufen? Sind Sprinter-Mannschaften da, die Ausreisser zurückholen werden? Oder wird eine Gruppe gehen. Aber welche? Soll ich selber attackieren? Oder warten? Wen kann ich fahren lassen, bei wem muss ich dabei sein? Wie attackiere ich? Wie erschwere ich dem Feld die Verfolgung wenn mein Teamkamerad vorne raus ist? Wann muss ich trotzdem hinterher? Wie fahre ich in einer Ausreißergruppe? Wie bewege ich mich im Feld? Wo ist es einfacher, vorne oder hinten?

Inzwischen weiss ich ja einiges über Radrennen und glaube, das mir so schnell niemand was vor machen kann. Aber einiges in dem Buch war mir dann auch neu und ich habe mich mehr als einmal gefragt: "Warum hat mir das nie jemand erklärt als ich jung war?"

Wahrscheinlich hat es daran gelegen, das ich nie gut genug war um auf dem Level zu fahren, auf dem Radsport zum echten Mannschaftssport wird. Wenn ich mal auf grossen Rennen war, ging es immer nur ums Überleben und jeder war froh, wenn er sich ins Ziel gerettet hat. Trotzdem. Soviel Möglichkeiten sind ungenutzt geblieben. Was für eine Ahnungslosigkeit und Stümperei.

Radrennen, dass wird bei der Lektüre klar, gewinnt man mit dem Kopf. Natürlich müssen die Beine auch ihren Teil dazu beitragen. Aber ein cleverer Fahrer kann weitaus Stärkere schlagen. Das Material ist am unwichtigsten. Das ist das tolle am Radsport. Ich brauche mehr davon ...

Das Buch ist gut geschrieben und lässt sich leicht und flott lesen. Geradeaus. Witzig. Pointiert. Jeder der Radrennen fährt, fahren möchte oder sich dafür interessiert sollte dieses Buch lesen. Und das nicht nur einmal. "Reading the Race" bekommt von mir eine uneingeschränkte Empfehlung: Must Read!

Hier die Internetseite zum Buch mit vielen Auszügen.

Hier die Verlagsseite

Hier ein längerer Extrakt

Das Buch ist nur auf Englisch verfügbar. Die Kindle Ausgabe kostet derzeit 10,09 Euro und das Taschenbuch 13,80. Amazon. Eine bessere Investition um Rennen zu gewinnen als die neusten fancy Carbon Räder.

Dienstag, 18. März 2014

Die Energiebilanz

Die Sache mit dem Abnehmen ist ganz einfach. Es funktioniert wie mit dem Planschbecken das ich an heißen Sommertagen im Garten für meine Kinder aufstelle. Wenn ich den Gartenschlauch zu weit aufdrehe, läuft das Becken irgendwann über. Auf der anderen Seite darf der Wasser-Nachschub aber auch nicht zu gering sein, da der Schwund durch Verdunsten, tobende Kinder und das kleine Loch im Boden früher oder später in einem leeren Becken endet.

Und genauso ist es mit dem Abnehmen. Mehr Input als Output und wir speichern die Energie in Form von Fett. Mehr Output als Input und wir werden leichter. Das ist das ganze Geheimnis. Nicht mehr und nicht weniger.

Ich bin ja schon immer ein Anhänger dieser tatsächlich einfachen Wahrheit gewesen. Von nichts kommt nichts, im Guten wie im Schlechten! Vor einigen Wochen nun ist ein Buch erschienen, dass anschaulich erklärt warum dies so ist und das Ganze auch wissenschaftlich belegt:


Herrlich! So elegant! So einfach! So logisch! So klug!

Herr Apolin ist Physiker und Sportwissenschafter und lebt und lehrt in Wien. Er führt auf, wie viel Energie in einem Kilogramm Körperfett gespeichert ist und wie viel man zum Beispiel Laufen muss um die entsprechende Energie wieder freizusetzen. Dabei wird dann schnell deutlich, dass es keine Wunderdiäten gibt und die Versprechungen von in einer Woche fünf Kilo abnehmen absolut unrealistisch sind. Es ist auch ganz egal wann wir etwas essen, morgens, mittags oder abends. Denn natürlich hat das Essen abends nicht mehr Energie als morgens. Genau das müsste aber der Fall sein, wenn unter sonst gleichen Umständen die Tafel Schokolade abends gegessen dicker machen würde als morgens gegessen. 

Er erklärt wie selbst kleinste Änderungen sich positiv oder auch negativ auswirken können und das tatsächlich jeder einzelne Schritt zählt. Und, wie es sich für einen Physiker gehört, wird alles berechnet und bewiesen, wenn es sein muss auch mehrfach. Dazu gibt es die entsprechenden Grundlagen der Physik, den Energie Erhaltungssatz und das notwendige Handwerkszeug wie etwa Fermi Rechnungen.

Das Buch ist wirklich lesenswert, selbst für den, der keine Notwendigkeit hat sein Gewicht zu reduzieren. Aber unter Umständen wird man sich aber nach der Lektüre bei der ein oder anderen Gelegenheit keine Freunde mach. Den ganzen Diät-Humbug kann man dann nämlich nicht mehr unwidersprochen stehen lassen.

Ich war selten so sehr von einem Buch begeistert. Es lebe die Wissenschaft, nieder mit der Esoterik!

... So, und jetzt muss ich das Buch gleich noch mal lesen!

Donnerstag, 31. Oktober 2013

Das Rennen

Vor einiger Zeit bin ich auf "Das Rennen" von Tim Krabbé gestossen. Tolles Buch. Mal was anderes als die Doping Beichten Bücher die gerade so en Vogue sind. Tim Krabbé ist ein niederländischer Autor der unter anderem die Romanvorlage zu "Spurlos" geschrieben hat (dt. Titel "das Goldene Ei") und der mit 30 Jahren den Radsport entdeckt hat.

Gegenstand des autobiografischen Romans ist die Mont-Aigoual-Rundfahrt für Radamateure 1977. Krabbé möchte das Rennen unbedingt gewinnen und berichtet über das Geschehen Kilometer für Kilometer. Über den Kampf, die Qualen, die Taktik. Es ist keine Geschichte über die Heroen, die die Tour de France fahren sondern über Amateure, alte Hasen und junge Wilde. Die ewigen Verlierer, die gleich am Start attackieren, über die Hinterradlutscher und Profiteure, über Bergfahrer und Abfahrer.

Er gibt einen unvergleichlichen Einblick wie und was ein Rennfahrer während des Rennens denkt, welch mitunter wirren, aberwitzigen Gedanken einem durch den Kopf gehen, wenn man sich die Seele aus dem Leib fährt.

Darüber hinaus habe ich noch kein Buch gelesen, das besser erklärt wie man ein Rennen fährt.

Hier einige Zitate, die ich besonderes bemerkenswert fand. Ich habe das Buch sogar direkt ein zweites Mal gelesen um sie zu markieren (Zettel!) :

  • Es ist noch zu früh. Henri Pélissier sagte: "Angreifen muss man so spät wie möglich, aber bevor es die anderen tun."
  • "Radsport bedeutet, zuerst den Teller des Gegners leer zu essen und sich erst dann den eigenen Teller vorzunehmen." Das hat Hennie Kupier gesagt.
  • Nichts ist so schön wie der platzende Reifen eines Konkurrenten.
  • Radsport imitiert das Leben, wie es ohne den korrumpierenden Einfluss der Zivilisation wäre. Wenn man einen Feind am Boden liegen sieht, was ist dann die natürlichste Reaktion? Im auf die Beine helfen. Im Radsport tritt man ihn tot.
  • Denn das ganze Leiden verwandelt sich hinter der Ziellinie in eine Erinnerung an Lust, und je größer das Leiden war, desto größer die Lust. Damit zeigt sich die Natur den Rennfahrern für die Huldigung erkenntlich, die sie ihr darbringen, indem sie leiden.
Es wird ja immer gesagt, man soll ein guter Verlierer sein. Aber muss man das tatsächlich? Ist es nicht viel logischer schlecht gelaunt zu sein statt dem Sieger höflich zu gratulieren? Was ist der Sieg dann wert, wenn es einem nichts ausmacht besiegt zu sein?
  • Wer dem, der ihn besiegt hat, zujubelt, leugnet dies und würdigt ihn somit herab. Ein guter Verlierer sein zu können ist eine verachtenswerte Ausrede, eine Beleidigung des Sportsgeistes. Wer ein guter Verlierer sein kann, sollte vom Sport ausgeschlossen werden.

Hier eine Rezension im Feuilleton der FAZ.
Hier die Amazon Seite.
Hier die Strecke des Rennens.
Hier Krabbés Homepage