Jetzt ist der Giro d'Italia 2021 auch schon wieder auf der Zielgeraden. Für Egan Bernal sind die Aussichten auf einen zweiten Grand Tour Sieg nach der Tour de France 2019, trotz des überraschenden Einbruches auf der 17. Etappe, mehr als "rosig". Die letzten Wochen hatten alles, was man sich als Radsport-Fan nur wünschen kann. Einen pfeilschneller Prolog, erfolgreiche Ausreißversuche mit Außenseiter Siegen (Tacoooooooo!), Sprinterduelle, epische Bedingungen mit sintflutartigem Regen, eine Strade Bianche Etappe, unglückliche Stürze (Landa, Buchmann, Sivakov, ...) und das im Radsport unvermeidliche Drama (Bike Exchange versus Pieter Serry), alles war dabei.
Wem das aber immer noch nicht genug Giro ist, dem seien zwei Bücher empfohlen, die beide auf ganz unterschiedliche Art und Weise die Geschichte der italienischen Grand Tour erzählen.
John Foot, Professor für neuere Italienische Geschichte an der University of Bristol, gibt dem Leser auf gut 300 Seiten einen umfassenden Einblick in die Geschichte des italienischen Radsports mit dem Giro im Mittelpunkt. Das Buch beginnt mit der ersten Ausgabe 1909, die von der Sportzeitung Gazetta dello Sport organisiert wurde. 127 Fahrer starteten am 13. Mai in Mailand, 49 kamen nach 18 Tagen wieder in Mailand an. Auf die Frage wie er sich denn fühle, antwortete der Sieger Luigi Ganna: "Mein Hintern bringt mich um!" ("L’impressione più viva l'è che me brüsa tant 'l cü!", Wikipedia). Das Buch ist aber weit mehr als eine Aneinanderreihung von Radsport Anekdoten. Der Author gibt einen hervorragenden Einblick in die zeitgeschichtlichen Zusammenhänge und lässt den Leser verstehen, warum der Giro etwa einen wichtiger Beitrag zum Selbstverständnis der italienischen Nation geleistet hat. Chronisch entlang der Biografien der großen italienischen Radsportler, ist das Buch in fünf Kapitel unterteilt: Das heroische Zeitalter, Radsport als Massensport, das Goldene Zeitalter, nach dem Goldenen Zeitalter und Das Doping Zeitalter. Im Anhang befinden sich einige interessante Übersichten und umfangreiche Quellen-Verzeichnisse.
Nach der Lektüre erschließen sich viele Details auch des heutigen Radsportes viel besser. So fährt das Team Androni Giocattoli Sidermac etwa auf Bottecchia Rädern. Wenn man die Geschichte von Ottavio Bottecchia aber nochmal gelesen hat, dann ist das nicht nur einfach irgendeine italienische Fahrradmarke, sondern eine wirklich dramatische, heroische und tragische Geschichte.
Das nur auf englisch bei Bloomsbury erschienene Buch lässt sich gut lesen, die gedruckte Ausgabe ist nur noch im Antiquariat zu teils horrenden Preisen erhältlich. Die Kindle Ausgabe kostet bei Amazon derzeit 8,97 Euro.
Gironimo
Eine ganz besonders heroische oder auch furchtbare Ausgabe des Giro war das Rennen 1914. Von 81 Startern schafften es nur acht wieder zurück nach Mailand. Die längste Giro Etappe aller Zeiten mit 430 Kilometer fand in jenem Jahr statt. Das ist umso beeindruckender, wenn man die Räder und Ausstattung der damaligen Zeit in Betracht zieht. Stahlräder, schwer wie Blei, Holzfelgen, Bremsbeläge aus Kork, keine Gangschaltung, Flügelmuttern, Schlauchreifen, schlechte Straßen, Baumwollkleidung, ... kurzum, eine echte Herausforderung. Genau das richtige für Tim Moore. 12 Jahre nachdem sich der Author über die Originalstrecke der modernen Tour de France gequält hat, sollte es nun der härteste Giro aller Zeiten sein.
Das Streben nach Authentizität fängt mit der Suche, dem Kauf und Zusammenbau eines möglichst original getreuen Fahrrades an. Die eher stümperhaften Versuche als Mechaniker am 100 Jahre alten Material sind eine echte Nervenprobe für den Leser. Auch bei der Ausrüstung macht Moore kaum Kompromisse für mehr Komfort. Letztendlich steht der Author tatsächlich in Mailand am Start zu seinem eigenen Giro à la 1914. Was folgt sind teils haarsträubende Geschichten von aus Weinkorken geschnitzten Bremsgummis, auseinander fallenden Radteilen oder überraschender Streckenführung, immer verwoben mit den Geschehnissen des Giro 1914 und des Radsports in dieser Zeit. Den Leser lässt dies staunend und mit Respekt für die Leistung der Fahrer aus dieser heroischen Zeit zurück, aber auch immer mit einem Zustand zwischen Lachen und Weinen ob der abstrusen Erlebnisse des Autors.
Die deutsche Ausgabe ist 2014 im Covadonga Verlag erschienen, hat 378 Seiten und kostet als Taschenbuch 14,80.
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