In den letzten Tagen gab es wieder große Aufregung um Scheibenbremsen am Rennrad. Das Thema wird ja gerne mit religiöser Inbrunst diskutiert. Zunächst hat die Fahrer-Gewerkschaft CPA einen Brief an die UCI geschrieben und ein Ende des derzeit nochmal angelaufenen Scheibenbremsen-Tests gefordert. Dabei geht es einzig um die Sicherheit, Punkte wie die Herausforderungen für den neutralen Service und die Geschwindigkeit der Radwechsel spielen keine Rolle. Die Argumente erstaunen insofern, dass die Fahrer sich bereitwillig mit Carbonfelgen mit im Regen mehr als suboptimaler Bremsleistung Abfahrten hinunterstürzen, Messerspeichen fahren und auch ansonsten eine ganze Menge Risiken eingehen.
Gut, wie auch immer. Diese Woche kam es auf der ersten Etappe der Abu Dhabi Tour kurz vor dem Ziel zu einem Sturz in den unter anderem der Sky Fahrer Owain Doull und Marcel Kittel verwickelt waren. Kittel fuhr an diesem Tag ein Rad mit Scheibenbremsen. Die Fahrer kamen mit einigen Abschürfungen davon. Die erstaunlichste "Verletzung" zog sich Doulls Schuh zu, der einen Schnitt über die gesamte Länge der Oberseite aufwies. Das muss ja Kittels Scheibenbremse gewesen sein! Rotierende, glühende Messer! Große Aufregung in den sozialen Netzwerken. Es entsteht der Eindruck dass Scheibenbremsen in etwa so aussehen müssen:
Hier was die beiden Protagonisten zu sagen haben:
Aber wie schon letztes Jahr bei dem Sturz von Fran Ventoso bei Paris-Roubaix kamen dann doch erhebliche Zweifel an der Scheibenbremsen Theorie auf. Die genaue Analyse des Sturzes spricht für eine andere Ursache. Es könnte durchaus sein, dass Doull sich den Schuh an den eigenen Speichen aufgeschlitzt hat.
Und natürlich werden auch gleich wieder einige Tests durchgeführt, was eine Scheibenbremse so alles durchschneiden kann oder auch nicht:
Ein Vorwurf der immer schnell laut wird lautet, dass die Scheibenbremsen ja nur von der Radindustrie gewollt sind, damit diese mehr Räder verkaufen können. Nun, dass ist vielleicht nicht so ganz falsch, aber wer bezahlt den Radzirkus zu einem großen Teil? Die Radindustrie, genau. Und Profiradsport ist nun mal eine Werbeveranstaltung. Aber es ist ja nicht so, als ob man versuchen würde uns den größten Quatsch unterzujubeln. Ich bleibe dabei, Scheibenbremsen sind da um zu bleiben. Für den Moment scheint es mir, dass die Gefahr durch Scheibenbremsen mehr auf Fiktion denn auf Fakten beruht.
Heute hat cyclingtips mit Bezug auf gut unterrichtete Quellen aus der Fahrradindustrie gemeldet, dass die UCI den Einsatz von Scheibenbremsen im Pro-Peloton ab 2016 freigibt. Also quasi in fünf Wochen. Ab dem 1. Januar 2017 sollen die Amateure folgen. Yeah, Scheibenbremsen für alle! Yeah?
Die Entscheidung sei Mitte Oktober von der zuständigen Kommission der UCI getroffen worden. Die Rotorgröße wurde demzufolge auf 160mm festgelegt. Ich habe mal auf der Seite der UCI gesucht, aber nichts gefunden.
Das Für und Wider von Scheibenbremsen wird zuweilen ja mit fast schon religiöser Inbrunst diskutiert. Für mich steht ohne Frage fest: In fünf Jahren sind Rennräder mit Scheibenbremsen genauso normal wie heute Bremsschaltgriffe.
Die üblichen Argumente gegen die Disc-Brake sind:
Ästhetik: Reine Gewöhnungssache. Am Anfang haben auch Radhelme, Sport-Brillen und Triathlonaufsätze "falsch" ausgesehen. Heute sind sie ganz normaler Bestandteil des Radsports.
Gewicht: Niemand verliert ein Rennen, weil das Rad ein paar Gramm schwerer ist. Wenn die UCI das Gewichtslimit für Rennräder generell beibehält, wird es keine Schwierigkeit sein Rennräder mit Scheibenbremsen zu bauen, die das Mindestgewicht gerade so erreichen. Darüber hinaus spielt das Gewicht ausser bei einer Bergankunft auch nur eine untergeordnete Rolle.
Aerodynamik: Ja, das mag etwas schlechter sein, aber ich bin überzeugt, findige Ingenieure werden auch da Lösungen finden. Vielleicht ist eine solche Lösung ja auch unter Verletzungsgesichtspunkten interessant?
Radwechsel: Mit etwas Übung wird das eine so schnell gehen wie das andere.
Neutraler Service: Das wird in der Tat etwas komplizierter. Auf der anderen Seite wird es vielleicht auch immer weniger Defekte geben, Tubeless Reifen sollen ja viel weniger anfällig sein. Vielleicht wird es ja auch Laufräder geben, die sowohl einen Rotor als auch eine "bremsfähige" Felge haben und die sowohl per True Axle als auch mit einem Adapter per Schnellspanner montiert werden können. Warum nicht?
Verletzungsgefahr beim Sturz: Wirklich? Das soll ein Argument sein? Massenstürze sind zum Glück sehr sehr selten. Wenn es aber doch dazu kommt, sollen heisse Bremsscheiben den Radfahrern Beine und Arme abtrennen? Echt? (siehe dazu auch das GCN Video weiter unten) Nun, die Bremsen dürften nur auf langen, kurvenreichen Abfahrten wirklich heiss werden. Auf Abfahrten fahren aber alle schön in einer Reihe. Das geht gar nicht anders. Wenn es da Stürze gibt erwischt es maximal eine Handvoll, aber nicht das halbe Feld. In der üblichen Massensturz Situation kommen die Bremsen gar nicht zum Einsatz, das geht so schnell, da fasst keiner mehr an die Bremse. Aber gehen wir mal davon aus, es kommt wirklich zum Sturz, so richtig mit Karacho, dann fallen mir Straßenlaternen, Zäune, Pfosten ein, oder massive Abschürfungen, vielleicht innere Verletzungen durch einen "Lenker im Bauch", gar nicht davon zu reden was mit dem Kopf alles passieren kann, trotz Helm. Und da soll eine Bremsscheibe das Risiko nennenswert erhöhen?
Unterschiedliche Bremsleistung: Auch heute ist es so, dass es Fahrer gibt die früher und solche die später bremsen. Der, der später bremsen kann, macht auf der Abfahrt Meter gut, der frühe Bremser verliert. Wenn vor mir Felgenbremser sind, fahre ich mit meinen Scheibenbremsen entweder vorbei oder ich muss warten. Im umgekehrten Fall muss der Felgenbremser eben früher anfangen zu bremsen. Jeder Fahrer muss doch immer selber einschätzen, wie schnell er eine Kurve fahren kann und wann er bremsen muss. Wo ist der Unterschied zu heute? Wenn ich mit Sagan eine Abfahrt runterfahre, kann ich auch nicht erst bremsen wenn der bremst.
Die Kompatibilität nimmt ab: Auch das ist richtig. Aber seien wir mal ehrlich, die Zeiten in denen alles miteinander kombinierbar war sind seit Einführung der indizierten Rahmenschalthebel vorbei. Der Trend geht dazu ein komplettes System zu kaufen. Alles ist auf einander abgestimmt. 10 fach, 11 fach, integrierte Vorbau-Lenker Einheiten, proprietäre Sattelstützen, Innenlager, da kommt es auf die Laufräder auch nicht mehr an.
Zu den Vorteilen kann ich nur eines sagen, aus eigener Erfahrung: Es bremst besser! Bei jedem Wetter die gleiche Bremsleistung. Dabei sind die mechanischen Scheibenbremsen an meinem Winterrad sicher nicht der Weisheit letzter Schluss, noch lange nicht. Und trotzdem ist es im Winter und bei Regen viiieeeel entspannter. Es bremst einfach immer und tatsächlich gleich gut.
In spätestens fünf Jahren ist die Scheibenbremse Standard und die Felgenbremse die Spezialausstattung. Ob es gefällt oder nicht, Scheibenbremsen sind da um zu bleiben! Es gibt übrigens ein Spezialwort für das was mit den Bremsen gerade passiert, das Schwierige ist, man erkennt es oft erst Jahre später. Das Ganze nennt sich FORTSCHRITT! ;-)
Update 30.11.2015:
Heute hat die UCI die Regelungen bekanntgegeben, die 2016 den Einsatz von Scheibenbremsen in professionellen Straßenrennen erlaubt. Hier der wichtigste Passus:
After extensive discussions with its stakeholders, the UCI has decided to allow the use of disc brakes by riders across all divisions of UCI professional road teams:
UCI WorldTeams
UCI Professional Continental Teams
UCI Continental Teams
UCI Women’s Teams.
The use of disc brakes will be carefully monitored throughout the year with a view to definitively allowing them to be used in professional road cycling from 2017.