Donnerstag, 16. März 2017

Wasserträger

Ein guter Wasserträger ist für den Erfolg eines Champions im Radsport unerlässlich. Dabei bringt er seinem Kapitän nicht nur das sprichwörtliche Wasser, sondern spendet Windschatten, setzt Ausreißern nach und schliesst Lücken, fährt selber Attacken um die Konkurrenten zu zermürben und gibt sein Rad seinem Leader, um an dessen Stelle auf den Materialwagen zu warten. Trotzdem stehen Wasserträger immer im Schatten des Erfolges und bleiben für die große Masse des Publikums namenlos. Denn obwohl der Sieg des Kapitäns ohne seine Domestiken kaum möglich wäre, steht dieser am Ende alleine auf dem Podest, bekommt die Blumen, die Trophäe, das Trikot, die Aufmerksamkeit und steht für alle Zeiten in der Siegerliste des Rennens.

Einen seltenen Moment des Ruhms erfährt der Wasserträger, wenn sein Leader eine große Landesrundfahrt gewinnt und die ganze Mannschaft gemeinsam, Hand in Hand, nebeneinander über die Prachtboulevards von Mailand, Paris oder Madrid rollt. Aber selbst die Mannschaftswertung hat dann nur noch vergleichsweise wenig Renommee.

Fahrer, die in dieser Rolle aufgehen und ihre eigenen Chancen dem Erfolg der Mannschaft total unterordnen, müssen schon aus besonderem Holz geschnitzt sein. Denn von der reinen Leistungsfähigkeit sind sie kaum schlechter als die späteren Sieger. Aber die Verantwortung des Siegen-Wollens, des Siegen-Müssens zu tragen, das ist eine Bürde die für manche zu schwer ist.

Ein solcher Fahrer war Charles Wegelius. In dem Buch "Domestik" erzählt er zusammen mit seinem Co-Author Tom Southam seine Geschichte, die eines Wasserträgers, eines erfolgreichen Profis ohne auch nur einen einzigen Sieg.


Das Buch beginnt damit, wie Charly, zu der Zeit noch ein Junioren-Fahrer, von seiner Mutter auf dem Parkplatz vor der Teamunterkunft von Vendée-U, der besten französischen Amateurmannschaft, abgesetzt wird. Nur mit einer lockeren Zusage nach einem handschriftlichen Briefwechsel ausgestattet, tritt er seinen Weg in den europäischen Profizirkus an. Angetrieben von einem bedingungslosen Ehrgeiz Radprofi werden zu wollen, ist kein Training ist zu hart, keine Unterkunft zu schlecht und kein sportlicher Leiter zu launisch. Wegelius passt sich an bis zur Selbstverleugnung. Nachdem er die Junioren Konkurrenz nach Belieben beherrschte, wird er in seinem ersten Männer Jahr gleich in das kalte Wasser geworfen und starten mit der ersten Mannschaft von Vendée-U bei den grössten französischen Rennen. Hoffnungslos überfordert verlässt er in seinem zweiten Amateur Jahr Frankreich und kehrt nach Großbritannien zurück, wo British Cycling gerade ein neues U23 Nachwuchsförderprogramm auflegt. Wegelius kann sich schliesslich auch auf der internationalen U23 Bühne behaupten und ergattert einen Vertrag bei Mapei, dem damals grössten Team im Profizirkus.

Die folgenden Jahre halten dann viele Rückschläge bereit. Kleinere Teams, schlechte Verträge, billige Unterkünfte und in endloser Schleife Training, Rennen, Training, Rennen. Immer in der Hoffnung auf einen besseren Vertrag oder doch zumindest irgendeinen Vertrag für die folgende Saison.

Wegelius schreibt nüchtern, offen und detailreich über das ganz und gar nicht glamouröse Leben eines Berufsradfahrers im Dienste der Kapitäne. Dabei fand ich besonders die Einblicke in das soziale Gefüge und die Hierarchie innerhalb des Pelotons interessant. Wer in den 2000er Jahren Radprofi war und darüber ein Buch schreibt, kann Doping natürlich nicht ganz ausblenden. In "Domestik" geht es aber nur am Rande darum, das Thema wird gestreift und zur Kenntnis genommen. Wer damals als Radprofi sein Geld verdienen wollte, musste nicht zwangsläufig selber dopen, aber die pharmazeutische Nachhilfe der Anderen als Tatsache akzeptieren. Es ist angenehm, neben all der Effekthascherei und den Sensationsgeschichten mal einen anderen Betrachtungswinkel vorzufinden.

Am Ende begegnet Wegelius seinem Glück auch abseits des Rennsattels und beginnt immer mehr mit der egoistischen und egozentrischen Welt des Profiradsports zu hadern. 2011 beendet er seine aktive Karriere und ist seitdem als Sportlicher Leiter für Slipstream Sports aka Cannondale Drapac tätig.

Das Buch ist kurzweilig und interessant zu lesen, besonders gut gefallen hat mir aber, dass ich zwei persönliche Verbindungen zu Wegelius' Geschichte habe. Unsere Wege haben sich einmal gekreuzt und ein anderes Mal bin ich als Domestike für eine seiner späteren Mannschaft gefahren. Was genau damals passiert ist, dazu mehr im nächsten Post: Stay tuned!

Links:
Domestik von Charly Wegelius ist im Covadonga Verlag erschienen, hat 304 Seiten und kostet 16,80 Euro.
Buch Besprechung bei Zeit Online
Charly Wegelius' Wikipedia Artikel
Procycling Stats

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