Mittwoch, 11. April 2018

Schönheitsideale

Instagram ist eine einzige, riesige Realitätsverzerrungs- und Filterblasenverstärker-Maschine, die mit der Zeit die Wahrnehmung von "Normal" verschiebt und die Wirklichkeit nur noch schwer ertragen lässt. Wer ein Faible für Mode und Design hat und gleichzeitig Rad fährt, dessen Feed wird bald von mehr und mehr dieser wunderbaren Bildern durchzogen, die sich alle überbieten und doch immer gleich sind. Schöne Menschen mit perfekten Radfahrer-Proportionen fahren auf auf edlen Rädern durch atemberaubende Traumlandschaften. Die Bilder wirken spontan und sind wohl doch bis ins Detail inszeniert. Meist sieht man Räder mit 56er oder kleineren Rahmen, gerne aus Stahl und von begnadeten Rahmenbauern. Jedes Teil des Kits passt wie zufällig zueinander, Hose zu Trikot zu Brille zu Helm zu Socken zum Rad und in die Landschaft. Alles ist neu und fehlerlos. Die Räder glänzen und blitzen wie frisch aus dem Laden. Und wenn Rad oder Kit mal nicht perfekt sind, dann weil die Protagonisten gerade von einer heroischen Tour unter widrigsten Bedingungen zurückgekommen sind oder sich, noch besser, mitten im Nirgendwo befinden. Auch wenn vieles Werbung ist, ist es nicht minder schön. Mit der Zeit besteht überhaupt gar kein Zweifel mehr: So muss Radfahren aussehen! Wie auch sonst?



Radsport war schon immer reich an Etikette. Um dazu zugehören muss man wissen was man wann wie anzieht und kombiniert. Die Länge der Socken und der Hosenbeine, die Farbe der Hose und die Kombination von Arm- und Beinlingen sind genauestens geregelt, ebenso wie unzählige andere Details. Seit einigen Jahren sind all diese Regeln auch in gebundener Form in der Buchhandlung zu erwerben und werden nicht nur vom Meister zum Novizen weitergegeben. Natürlich gibt es auch im Radsport Moden die kommen und gehen, aber das Ideal des zeitlos eleganten Helden bleibt. Fausto Coppi wird immer ein Ikone sein. All das macht Radsport aus, die Historie, die Details, die Schönheit (neben der sportlichen Leistung natürlich).

Die sonntägliche Vereinsausfahrt holt einen dann aber schnell und gnadenlos zurück in die modischen Abgründe des Radfahrens. Die gerade aktuellen Gruppenbilder einiger "Trainingslager" zeugen von einer Wirklichkeit, die so ganz anders aussieht als der Instagram Feed. Die Sünden-Liste ist lang: Abgenutzte, halbtransparente Hosen, nicht zueinander passendes Kit, Bündchen, die so ausgeleiert sind, das sie lustige Wellen schlagen, keine oder Sneaker-Socken oder auch mal Wollstrümpfe, Kompressionsstulpen, lange Hosen und kurze Arme, Profi Trikots und die unvermeidlichen haarigen Beine. So geht es endlos weiter. Die Räder sehen nicht besser aus und die Piloten lassen die Eleganz und Leichtigkeit der Instagram Models gänzlich vermissen.

Ist das die Normalität? Ist das Coppi Ideal nur ein ferner Gedanke, unerreichbar oder sogar belanglos? Kommt es darauf gar nicht an? Nein! Denn wenn dem so wäre, könnte man genauso gut in Jogginghose in die Oper oder mit dem alten Lieblingspulli in's Büro gehen. Sich einigermaßen gut und dem Anlass angemessen anzuziehen sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Warum nicht auch im Sport? Also gebt euch mal ein bisschen Mühe und sortiert ein paar der ganz alten Sachen aus, rasiert euch die Beine, putzt das Rad und ölt die Kette! Der Frühling kommt, höchste Zeit sich chic zu machen!

Update: Ein Leser hat, vielleicht zu Recht, angemerkt, dass er nicht erkennen kann worauf ich hinaus will. Ob ich mich über die Instagram Blase oder die "Gammler" lustig mache. Die Wahrheit liegt wie so oft in der goldenen Mitte. Zwischen Fashion-Victim und Gammler gibt es eine Goldene Mitte, ich würde sogar sagen einen goldenen Schnitt, der näher näher an dem Fashion Ende der Skala denn an dem Gammel Ende liegt. Die nachfolgende Liste ist daher nur das, als was ich sie bezeichnet habe, eine Inspiration, aber kein Mode-Diktat!

Eine Liste hübscher Instagram Feeds zur Inspiration:

2 Kommentare:

  1. Dieses "Schlumpi"-Image der Rennradfahrer geht mir auf die Nerven. Genauso das Lycra-Wurst Image.

    Dieser falsche Geiz den manche mit sich herumtragen ergibt sich mir nicht. Manche fahren auf tausende von Euro teuren Rädern herum, schaffen es aber nicht sich von Zeit zu Zeit mal eine neue Hose zu kaufen und penetrieren Ihre Kollegen mit fast transparenten Trägerhosen, bei denen man jedes Arschhaar zählen kann.

    Das schöne ist doch, dass wir mittlerweile einen Punkt erreicht haben, an dem man die aktuelle Radsportbekleidung als kleidsam bezeichnen kann. Die Schnitte, die Muster, auch die Socken. Wir sind weg von schlabbriger Unisex Kleidung, angekommen bei gut designter, passender Radsportbekleidung. Also warum das nicht auch annehmen, ausprobieren, tragen?

    Natürlich muss auch die Funktion stimmen, und da hat jeder seinen eigenen Favoriten. Auch ich kann da nur von mir ausgehen. Ich trage mit Vorliebe Rapha Bekleidung. Die Polster passen zu meinem Poparzen und der Stil der Kleidung ist mir mich das perfekte Understatement. Seriös, detailverliebt, perfekt geschnitten. Mir gefällt das.

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  2. Rapha finde ich auch nett, aber das Made in China geht nicht - ich bevorzuge Made in Italy. Letztens war ich zum zweiten mal bei Alexander in Gatteo. Aber hat man nicht 10 Hosen und bevorzug immer die eine in der man sich am wohlsten fühlt ?
    Dasselbe ist doch auch bei Handschuhen so - das extremste ist aber Schuhe zu finden in denen man gut fahren kann - vorallem wenn man älter ist und breitere Füsse hat. Da kann man nicht irgendwas nehmen.

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