Donnerstag, 2. November 2017

Icarus - Wie Doping und Geopolitik zusammenhängen

Manche Filme halten überraschende Wendungen bereit, der absehbare Plot wird verlassen und plötzlich sieht man einen ganz anderen Film. Etwa wenn sich From Dusk Till Down von einem Gangster-Roadmovie zu einem Vampir-Horror-Splatterfilm wandelt. In etwa genauso abstrus geht es in Icarus zu, einem Film über Doping im Radsport, sozusagen der Roadmovie-Teil, und den Skandal um das russische Staatsdoping, der Horror Teil.

Bryan Fogel ist ein begeisterter Radsportler und Amateur Rennfahrer. Lance Armstrongs Dopinggeständnis zwingt ihm die Erkenntnis auf, dass Dopingkontrollen weitgehend wirkungslos sind und ein negativer Test alles mögliche belegt, nur nicht dass der Fahrer sauber ist. Denn schliesslich wurde Armstrong nie offiziell des Dopings überführt.

Wie muss man es also anstellen um durch das Netz der Dopingfander zu schlüpfen? Und hilft EPO und Co. tatsächlich? Da Bryan Fogel auch ein Filmemacher ist, plant er eine Dokumentation über einen Selbstversuch, ein Doping - Super Size Me sozusagen. 2014 nimmt er an der Haute Route Teil, einem Gran-Fondo-Etappenrennen in den Alpen. Ungedopt. Er schlägt sich nicht schlecht, muss aber erkennen, dass die Fahrer in der Spitze wie von einem anderen Stern fahren. Wie würde er sich schlagen, wenn er nach allen Regeln der pharmazeutischen Kunst nachhelfen, wenn der den Amateur-Armstrong geben würde? Dazu sucht Bryan Fogel fachkundige Unterstützung, die er schließlich bei Dr. Grigory Rodschenkov findet, dem Leiter des russischen WADA Labors in Moskau. Der Russe willigt ein Fogel zu helfen, man konferiert über Skype und trifft sich persönlich, es gibt einen Dopingplan, der beschreibt wann was einzunehmen ist. EPO, Testosteron,  Wachstumshormone, das übliche eben.
Fogel bereitet sich auf die nächste Haute Route vor und füllt unterdessen fleißig Urin-Proben ab. Diese sollen später nach allen Regeln der Kunst in Moskau analysiert werden. Die Haute Route endet dann nicht wie erhofft. Materialpech verhindert eine bessere Platzierung und noch immer sind die Besten deutlich überlegen.

Unterdessen veröffentlicht die ARD die Dokumentation von Hajo Seppelt Geheimsache Doping - Wie Russland seine Sieger macht. Dadurch kommen eine ganze Reihe von Ereignissen ins Rollen, an deren Ende sich Dr. Rodschenkov seiner Verhaftung und Rolle als Bauernopfer nur durch die Flucht in die USA entziehen kann. Von da an widmet Icarus sich dem russischen Dopingprogramm. Aus erster Hand berichtet der Mann, der den Sportbetrug in Russland organisiert hat von vertauschten Proben, Urindatenbanken und geheimen Zimmern mit getarnten Löchern in den Wänden. Das Erschreckendste bei all dem geht dabei weit über den Sport hinaus. Wer denkt bei Doping schon an geopolitische Schachzüge, an Brot und Spiele für das Volk und an Politiker, die auf einer Welle steigender Zustimmungswerte nach olympischen Medaillen Kriege beginnen?

Auch wenn am Ende einige Fragen offen bleiben (Wäre Fogel unentdeckt durch die Kontrollen gekommen? Wie weit verbreitet ist Doping im Freizeitsport? Ist Rodschenkov Held oder  Bösewicht?), bietet der Film zwei Stunden beste Unterhaltung und einen einmaligen Einblick in staatlich organisiertes Doping.

Zu sehen ist der Film nur auf Netflix. Im Original, mit Untertiteln oder in deutscher Synchronisation. Netflix bietet einen kostenlosen ersten Monat an, danach kostet das Abo zwischen 8 und 12 Euro und ist monatlich kündbar.


Anfang September hat der Regisseur mit Cyclingtips ausführlich über den Film gesprochen. Der Podcast ist einer der wenigen, die ich mir ein zweites Mal anhören werde:



Links:
ARD Sport Aktuel Podcast, Besprechung des Films
NY Times Filmkritik
NY Times Story über das russische Doping Program Teil 1, Teil 2
Spiegel Online Filmkritik

2 Kommentare:

  1. Ist ein großartiger Film. Absolut sehenswert.. Ist schon „abegebrühte Kacke“, die da draußen abgezogen wird.

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