Donnerstag, 1. Dezember 2016

Bikefitting

Eigentlich ganz einfach mit dem Radeinstellen, oder? Man setzt sich drauf und wenn man mit der Ferse des ausgestreckten Beines das Pedal in der untersten Position gerade noch so berührt stimmt es. Aber wie genau muss das Pedal stehen? Ganz unten oder in der Verlängerung des Sattelrohres? Und was wenn der Radschuh eine dicke Sohle hat? Nein, nein, werden manche von euch sagen, das muss man messen. Schrittlänge * 0,883 ist die Sattelhöhe. Oder war es die Innenbeinlänge? Ist das nicht das Gleiche? Wie misst man das? Und ändert sich das mit der Kurbellänge? Sitzt man auf dem Rennrad anders als auf dem Zeitfahrrad oder dem MTB?

All das und mehr wollte ich herausfinden und habe vor zwei Wochen an einem Seminar des Württembergischen Radsportverbandes in Freiburg teilgenommen. Zwei Tage, Samstag und Sonntag. Puh, das bedeutete um fünf aufzustehen und um halb sechs loszufahren, um auf die Minute um acht Uhr dreißig vor dem Radlabor in Freiburg zu stehen. Aber so viel sei verraten: die Fahrt hat sich gelohnt.

Florian Geyer vom Radlabor Freiburg hat ein exzellentes Seminar abgeliefert. Angefangen haben wir am Samstag vormittag mit der Theorie. Wie bei fast allem in den Sportwissenschaften gibt es auch beim Bikefitting nicht die eine, beste Position. Fünf teilweise widersprüchliche Zielkriterien müssen  bestmöglich ein Einklang gebracht werden: Geringste Beanspruchung, Komfort, Maximale Leistung, Minimaler Luftwiderstand und Fahrtechnik. Die Position muss an jeden Fahrer angepasst werden. Ein Rennfahrer wird ganz anders auf dem Rad sitzen als Hobbyfahrer, trotzdem können beide Positionen für den jeweiligen Fahrer optimal sein. Körperliche Beschwerden sind genauso zu berücksichtigen wie die Bewegungsfähigkeit

Bevor man aber anfängt irgendetwas einzustellen, muss man erst einmal messen, das Rad und den Fahrer. Das ist die erste Hürde und ganz und gar nicht trivial. Zum Beispiel habe ich zur Messung der Innenbeinlänge meist ein Buch mit der kurzen Seite an die Wand und der langen Seite in den Schritt gehalten, etwas einfacher geht es vielleicht mit einem großen Winkel. Gemessen wird dann der Abstand von der Oberkante des Buches zum Boden. Die Schwierigkeit hier ist das in den Schritt halten. Wie fest muss man da denn drücken? Je nachdem differiert das Ergebnis nämlich um mehrere Zentimeter.
Oder wo misst man die Sattelhöhe? In der Mitte des Sattels? Hinten? In der Verlängerung der Sattelstütze? Auf der Satteldecke? Auch das macht einen Unterschied. (Antwort: In der Mitte der Längsachse des Sattels und auf dem Niveau der Stelle, auf der man sitzt. Je nach Sattelform und Neigung kann das schon mal Zentimeter ausmachen.)

Und so ging es weiter. Wir haben gelernt die Punkte am Körper zu bestimmen an denen die Winkel angelegt werden und durch die das Lot gefällt wird, wie die Pedalplatten auszurichten sind, in welcher Reihenfolge man die verschiedenen Einstellungen vornimmt und und und.

Die vielleicht wichtigste Erkenntnis war, dass man für ein gutes Bikefitting keine Gerätschaften im Wert eines Kleinwagens braucht. Mit relativ überschaubarem Equipment lässt sich schon viel bewerkstelligen.  Ein Maßband, ein Meter, ein Lot und eine Wasserwaage hat man ja normalerweise zur Hand. Das nächste Level an Genauigkeit erreicht man mit einem richtigen Goniometer, damit werden die Winkel zum Beispiel von Unter- und Oberschenkel gemessen. Oder, um auf das Schrittlängen-Problem zurückzukommen, mit einem Schrittlängen Messgerät. Ein Linienlaser erleichtert auch viele Schritte. Dazu immer noch eine große Rolle Tape um alles mögliche zu markieren. Ah, und eine feste Rolle braucht es auch in jedem Fall.

Natürlich geht es immer noch besser und die Profis im Radlabor können auf alle möglichen Gerätschaften zurückgreifen um auch die letzten Ineffizienzen aufzuspüren. Interessant war z.B. die Messung des Satteldruckes und wie sich diese abhängig von der Position verändert. Oder der Ergometer zur Messung der Effizienz der Tretbewegung. Oder die Videoanalyse. All diese Sachen sind aber nur in wenigen Spezialfällen wirklich notwendig. Die meisten Radeinstellungen lassen sich, wenn man es richtig macht, auch mit wenig Ausrüstung sehr gut durchführen.

Was aber unabdingbar ist, ist die Erfahrung. Die hat man natürlich nicht von Anfang an, daher hilft da nur üben üben üben, wie so oft.

Einige Teilnehmer des Seminars hatten ihre Räder dabei und so stand ab dem Samstag Mittag Praxis auf dem Programm. Wir haben zwei Rennräder, ein Mountainbike und mein Zeitfahrrad eingestellt. Und obwohl einige sich auf ihren Rädern wirklich wohl gefühlt haben und der festen Überzeugung waren perfekt auf dem Rad zu sitzen, konnten wir doch teils dramatische Verbesserungen erzielen. Das meine Zeitfahrposition ein Desaster ist wusste ich ja bereits, aber jetzt habe ich auch einen Plan was ich ändern muss.

Für die Fahrer, deren Räder verstellt wurden, fängt jetzt natürlich das Testen an. Ein Bikefitting ist keine einmal einstellen und fertig Geschichte sondern ein Prozess über einen manchmal längeren Zeitraum. Die Position muss eben nicht nur im Labor sondern auch draussen funktionieren. Wo wir wieder am Anfang angekommen sind, den verschiedenen Zielkriterien: Geringste Beanspruchung, Komfort, Maximale Leistung, Minimaler Luftwiderstand und Fahrtechnik.

Jedem der viel Rad fährt kann ich ein Bikefitting nur wärmstens empfehlen. Gut investiertes Geld.

Wer es selber lernen möchte ist bei dem Seminar in Freiburg sehr gut aufgehoben. Das Seminar findet immer im Herbst statt, kostet für nicht WRV Mitglieder 175 Euro inclusive Kost und Logis und ist, wie man mir sagte, immer recht schnell ausgebucht. (Man kann sich aber übrigens nicht selber fitten, auf dem Rad sitzen und gleichzeitig messen geht nicht).










Links:
Radlabor
Württembergischer Radsportverband - Lehrgangsangebot

2 Kommentare:

  1. Das ist ja mal ein schöner Beitrag! Ich dachte immer es reicht, wenn man durch die Stadt fährt und seine Position mit der "Schaufenster-Vorbeifahr-Methode" ausrichtet (?)

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    1. Haha, Schaufenstermethode ist super. Die hatte ich ganz vergessen! Dich fitte ich auch noch, sobald ich meine Bike-Fitting-Toolbox zusammen habe. :-)

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