Freitag, 13. Juni 2014

Alien Convention

Vor einigen Tagen habe ich meine Begeisterung für die Rennen gegen die Zeit ja schon hier kundgetan. Am Pfingstmontag habe ich mein neu erworbenes Zeitfahrequipment und meine Form einem ersten Test unter echten Bedingungen unterworfen. Einiges war gut, anderes hat noch Potenzial (meine Form in erster Linie) bis zur Landesverbandsmeisterschaft im Zeitfahren in Rüssingen in vier Wochen.

Aber von vorne. Zeitfahren die nicht im Rahmen von Rundfahrten stattfinden sind leider sehr selten. Das liegt sicher daran, dass es eine Disziplin für Spezialisten ist, die nur Wenige an den Start lockt und es auch für die Zuschauer nicht unbedingt spannend ist. Eine dieser seltenen Gelegenheiten für den Kampf gegen die Uhr bot sich am vergangenen Wochenende in Almersbach im Westerwald, wo die Westerwälder Radsportfreunde dieses Jahr zum sechsten Mal ein Zeitfahren für Lizenz- und Hobbyfahrer ausgerichtet haben.

Da es gute 220 Kilometer von Merzig bis nach Almersbach sind, bin ich schon am Sonntag Abend angereist und habe als einziger Gast im einzigen Hotel vor Ort geschlafen. Einfach, sauber, sehr ruhig und auf einer angenehm harten Matratze. Für 35 Euro die Nacht im Einzelzimmer inklusive Frühstück. Kann man gar nix sagen: Zum Eichhahn.

Nach dem Frühstück bin ich die Strecke abgefahren. Start war in Almersbach, das Ziel im 20 Kilometer entfernten Dierdorf. Ein echtes Zeitfahren. Von A nach B. Vom Start weg sind zunächst auf rund 2,5 Kilometer 80 Höhenmeter zu überwinden. Der höchste Punkt (316m, km 2,8) liegt bereits auf einer fast vier Kilometer langen Geraden die sich bis weit in die Abfahrt reinzieht, an deren Ende nur zwei Kurven die Fahrkünste der Fahrer etwas fordern, auch wer schnell ist (>60 km/h), sollte ohne Bremsen durchkommen. Nach der Abfahrt ist man bei km 9 am tiefsten Punkt der Strecke auf 197 m angelangt. Das 12 km entfernte Ziel befindet sich auf 244 m. Das hört sich nach so gut wie nichts an, was es unter andren Umständen auch ist, im Zeitfahren macht sich diese stetige, minimale Steigung aber mit eine unangenehmen Diskrepanz zwischen optischem Eindruck und gefahrener Geschwindigkeit bemerkbar. Wenigstens ist die Strasse bis auf ein wenige hundert Meter langes Teilstück in sehr gutem Zustand, keine Schlaglöcher, sauber, breit. Zwei mal geht es über Bahngleise. Die Strasse mäandert durch ein Tal und wird oft von den Bäumen entlang des Weges beschattet. Die Hitze am vergangenen Wochenende hat sich so gut ertragen lassen.

Hier das Profil, erstellt mit Veloviewer:



Ein ebenfalls gutes Tool zum Analysieren einer Strecke ist Cycle Route. Insbesondere wenn man keine Daten hat, weil man zum Beispiel die Strecke noch nicht gefahren ist. Allerdings ist die Darstellung des Profils etwas irreführend. Ganz so wellig war es dann doch nicht.


Zurück im Hotel habe ich geduscht, meine Sachen eingepackt und bin zum Start gefahren um mir noch einen halbwegs anständigen Parkplatz zu sichern. Dann hat die übliche Pre-Race Routine angefangen. Startnummer abholen, Rad zusammenbauen, Schuhe, Helm, Rennanzug und Überschuhe bereitlegen. Und dann habe ich einen Fehler gemacht. Ich habe die 12 - 25 Kassette gegen die 11 - 25 Kassette getauscht. (11,12,13,14,15,17,19,21,23,25 statt 12,13,14,15,16,17,19,21,23,25) Das sollte ich noch bereuen, doch dazu später mehr. Ich habe eine Kleinigkeit gegessen und hatte noch genug Zeit um die Beine etwas hochzulegen und zu lesen. Eine Stunde vor dem Start habe ich mit der unmittelbaren Vorbereitung angefangen. Warmfahren auf der freien Rolle, kein Widerstand, nur die Beine locker drehen und zwei mal die Trittfrequenz richtig hochbringen. Dann den Rennanzug an, Helm auf, Überschuhe, Brille, Auto zu und zum Start gerollt.

Noch 15 Minuten. Der Kommissär prüft ob die Räder UCI kompatibel sind, wenn dies nicht der Fall ist, bekommt man allerdings nur den Hinweis, so bei einer Meisterschaft nicht starten zu dürfen. Mein Sattel ist ok (5cm hinter dem Tretlager), der Aufsatz ist zu weit vorne. Ich bin von der 2013er Regelung ausgegangen, bei der die Achse der Schalthebel maximal 75 cm vor dem Tretlager sein durfte. Was auch auf den Millimeter gepasst hätte. Seit Beginn des Jahres ist es aber so, dass bis zur Spitze der möglichst horizontal gestellten Schalthebel gemessen wird. Der Fahrer kann allerdings gleichzeitig eine Ausnahme beanspruchen. Entweder der Sattel oder die Schalthebel dürfen weiter vorne sein, die Schalthebel bis zu 80 cm. Da diese in meinem Fall aber von Mitte der Achse bis zu Spitze sechs Zentimeter messen, bin ich knapp drüber. Da werde ich wohl unter Übel noch zur Säge greifen müssen. Wer es genau wissen möchte: UCI Artikel 1.2.023 oder hier.

Der Start in Almersbach ist recht obskur. Es gibt weder eine Startrampe, noch einen Starter der die Fahrer hält oder eine elektronische Zeitmessung. Gestartet wird auf einer abfallenden Strasse und der Fahrer hält sich an einem Art Geländer fest. Neben dem Geländer sitzt ein Herr mit Flagge und hebt diese wenn die Funkuhr auf die volle Minute springt. Am Ziel gibt es auch eine Funkuhr und auch dort wird die Zeit beim Überfahren der Linie einfach abgelesen. Zumindest nehme ich das an, gesehen habe ich es nicht. Nichts für Sekunden-Entscheidungen aber erfrischend simpel und pragmatisch.

Die Startreihenfolge wurde wohl vom Veranstalter nach Einschätzung des Leistungsvermögens der Fahrer durchgeführt. Mir haben sie nichts zugetraut, ich durfte nämlich als Zweiter der 20 gemeldeten Fahrer starten. Abstand war eine Minute. Die Nummer 102 hat gekniffen und ist nicht zum Start erschienen. 101 war nicht vergeben und Nummer 100 wäre der letzte Senioren 3 Fahrer gewesen, der auch nicht gestartet ist. Super! Niemand vor mir. Ich fahre wirklich alleine. Kein Anhaltspunkt, niemand, an dem man sich festsaugen kann.

Ich klettere auf mein Rad und stehe bereit an der Startlinie als ich den Sprecher sagen höre: "Am Start Boris Odendahl vom Tri-Sport Saar Hochwald. Er war letztes Jahr 7. der Bergmeisterschaft (da denke ich mir, oh, sauber recherchiert) und ist eigentlich Triathlet." Ich: "Nein, ich bin Rennfahrer!" Sprecher: "Ich höre gerade, Boris ist eigentlich Rennfahrer." Haha, soweit kommt's noch. Auch wenn ich dieses Jahr sogar noch zwei Triathlon Liga Wettkämpfe bestreiten werde, ich bin Rennfahrer, bitte schön!

Und los. Ich finde schnell meinen Rhythmus und komme den Berg gut hoch. Nicht überziehen! Das gerade noch erträgliche Tempo finden. Auf der Kuppe direkt beschleunigen und das Gefälle nutzen. Ich komme die Abfahrt gut runter, auch wenn ich die Bremse in der engen Rechtskurve kurz antippe.
Unten angekommen versuche ich den richtigen Gang zu finden und muss feststellen dass da was fehlt. Der eine Gang ist zu schwer, der andere zu leicht. Ich schalte alle paar hundert Meter in den jeweils anderen Gang. Der 16er. Der würde passen. Was sollte das mit dem 11er? So schnell war die Abfahrt dann doch nicht. Erzähle ich nicht immer, dass ausser Toni Martin 53x11 niemand treten kann, selbst Berg runter? Und jetzt falle ich selber drauf rein. Mist. Egal. Weiter. Ideallinie. Nutze die ganze Strasse, aber nicht zu nah am Rand, dort könnte Glas liegen, ein Plattfuss würde das Rennen beenden. Zu allem Überfluss lässt mich meine Garmin im Stich. Am Zeitfahrrad habe ich keinen Geschwindigkeits- und Trittfrequenzsensor. GPS muss reichen. Morgens hat es noch einwandfrei funktioniert. Zumindest sind mir keine Probleme aufgefallen. Aber durch die vielen Bäume und das Tal gibt es scheinbar Aussetzer und die Geschwindigkeit springt wild hin und her. 35 - 40 - 45 - 33 - 40. Im Sekundenabstand. Auch das noch. Keine Fahrer vor mir, keine Geschwindigkeitsanzeige, kein 16er. Also nur nach Gefühl. Alles was geht. Weiter. Noch 5000 m. Ein paar Leute am Strassenrand. Ein Fotograf. Ich kann nicht widerstehen aus dem Augenwinkel in das leere Schaufenster zu blicken und mir selber für eine Sekunde zuzusehen. Ich habe auf dem Rad fast den gleichen Buckel wie mein Vater. Ich sollte mich gerader halten. Hatte Sean Kelly nicht auch einen Buckel? Dann kann es nicht schaden. Was einem so alles durch den Kopf geht, bei Puls 185. Schneller. Meine Beine schreien ich soll endlich aufhören. Ich schreie zurück. Shut up legs! Der 15er - zu schwer. Der 17er zu leicht. Noch 2000, noch 1000, 500m, die letzte Kurve. Noch mal beschleunigen. Fertig.

200m nach dem Ziel gibt es etwas zu trinken und zu essen. Ich brauche eine geraume Zeit bis ich wieder aufstehen kann und mich auf den 20 km langen Rückweg mache. Der Gluteus Maximus oder etwas in der Gegend hat sich so verhärtet, dass ich nur noch unter fiesen Schmerzen sitzen kann. Ich ächze und stöhne und schaffe es gerade so die Hinterräder der beiden Senioren zu halten um nicht alleine zurück fahren zu müssen. Die Hälfte der Strecke fahre ich im Stehen. So was hatte ich auch noch nicht. Am Auto angekommen kann ich kaum die Schuhe ausziehen, da sich meine Füße nicht mehr innerhalb der Reichweite meiner Hände befinden. Ist das fies. Letztendlich schaffe ich es doch alles im Auto zu verstauen und duschen zu gehen. Ich gebe meine Nummer ab. Sechster bin ich geworden. Nicht schlecht, aber ich habe mir etwas mehr erhofft. Allerdings war die Konkurrenz zahlreicher und stärker als in den vergangenen Jahren.

Eine Analyse der Strava Daten kommt im nächsten Post, bis dahin: Keine Gnade für die Wade!






Ein Dankeschön an dieser Stelle an die Westerwälder Radsportfreunde (Fotos / Ergebnisse) für diese sehr schöne Veranstaltung. Vielleicht komme ich nächstes Jahr wieder. Wenn, dann aber mit einem 16er und hoffentlich nicht mehr als erster Starter!

Achso, warum der Post Alien Convention heisst? Auf dem Rückweg hat unsere kleine Gruppe an einer Ampel gewartet. Fünf Fahrer, alle mit Zeitfahrboliden, hautengen Lycra Einteileren und Aerohelmen. Der unbedarfte Passant wird nach dem dazugehörigen UFO gesucht haben.

2 Kommentare:

  1. nice bike mein jung! stolz auf dich.. da sind nicht so viele in unserem alter die noch nen richtigen racer im blut haben! (-;

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