Jetzt ist es also tatsächlich passiert. Es hat sich jemand mit einem Elektromotor im Rad erwischen lassen, noch dazu bei einer Weltmeisterschaft. Maximale Aufmerksamkeit garantiert. Und wie nicht anders zu erwarten war der Aufschrei groß, frei nach dem Moto: "Auf sie mit Gebrüll". Die erst 19 Jahre alte belgische U23 Europameisterin im Cyclocross, Femke van den Driessche, hat Eingang in die Geschichtsbücher des Radsports gefunden. Ihr Name wird für immer mit dem ersten entdeckten Betrug dieser Art in Verbindung stehen. Wahrscheinlich nicht der Ruhm den sie sich erhofft hat.
Ich warte ja auf den Dopingsünder, der, sobald überführt, sein Vergehen zugibt und zu dem steht was er gemacht hat. Und es vielleicht sogar erklärt. Was bringt jemanden dazu die Regeln zu brechen? Erfolgsdruck? Mangelnde Alternativen ausserhalb des Sports? Falsche Berater und Trainer? Überehrgeizige Eltern? Bringt man nicht schon Kindern bei, dass es besser ist eine Missetat zuzugeben und die dann hoffentlich mildere Strafe zu akzeptieren als sich in fadenscheinigen Ausflüchten zu verstricken? Haben all die Dopingsünder nicht gelernt dass früher oder später selbst das stärkste Lügengebilde einstürzt und die Wahrheit an's Licht kommt? Wie war das noch mal mit Armstrong, Ulrich, Landis, Hamilton, Millar, Pantani und all den anderen? Gut, es kann natürlich sein dass Femke van den Driessche tatsächlich nichts von dem Motor in ihrem Rad wusste und es ihr durch einen dummen Zufall untergeschoben wurde. Leider ist die Geschichte, die sie erzählt, alles andere als glaubwürdig, die Reputation ihrer Familie mehr als zweifelhaft und am Ende spielt es auch keine Rolle, ob Sie es wusste oder nicht.
Obwohl, professioneller Sport ist Entertainment. Und was uns Familie van den Driesche derzeit auftischt könnte sich wahrscheinlich kein noch so wahnsinniger Trash-TV-Drebuch-Schreiber ausdenken. Eine kurze Zusammenfassung: Eine junge, hübsche, aufstrebende Radsportlerin verkauft eines ihrer Räder an einen Freund der Familie. Dieser trainiert ab und an mit ihr und ihren Brüdern und lässt in das Rad einen Elektromotor einbauen. Ansonsten bleibt das Rad absolut ummodifiziert. Zumindest so weit, dass die erfahrenen Mechaniker bei der Weltmeisterschaft das Rad als eines von Femke betrachten und mit in die Wechselzone nehmen. Warum das Rad überhaupt da war? Der Freund der Familie hat vor dem WM-Rennen eine Erkundungsrunde auf dem Kurs gedreht und das Rad bei den van den Driessches abgestellt. Der dumme Mechaniker, also wirklich, nimmt der einfach das falsche Rad mit. Zu allem Unglück kontrolliert die UCI dann auch genau dieses Rad. Was für ein Jammer. Natürlich hat man nichts gewusst, Tränen im Fernsehen, Beteuerungen noch und nöcher.
Leider wird die Glaubwürdigkeit durch die Tatsache, dass Femkes Bruder derzeit eine EPO-Sperre absitzt und Vater und Bruder vor einiger Zeit des Diebstahls zweier Kanarienvögel überführt wurden, nicht gerade gestützt. Heute war zu lesen, das Pure Cycling, eine Australische Non-Profit Organisation die sich für einen sauberen Radsport einsetzt, in den vergangenen Monaten mehrere Hinweise auf verdächtige Leistungen erhalten hat. Insbesondere die Koppenberg-Performance von Fräulein van den Driessche erscheint nun in einem ganz neuen Licht.
Eine ganze Menge Merkwürdigkeiten, die am Ende aber alle irrelevant sind. Das Reglement ist in diesem Punkt eindeutig. In Artikel 1.3.010 der technischen Regeln heisst es: "The bicycle shall be propelled solely, through a chainset, by the legs (inferior muscular chain) moving in a circular movement, without electric or other assistance." Artikel 1.3.001 sagt: "The licence holder is responsible for his or her equipment and for ensuring its compliance with the regulations. The licence holder must thus have knowledge of the technical regulations to be able to apply them to the bicycle, accessories and clothing." Wie beim Doping ist letztendlich der Sportler verantwortlich, für die Substanzen in seinem Körper genau so wie für sein Material. UCI Technical Regulation, Technological Fraud
Wobei wir bei dem Vergleich von Doping und technischem Betrug sind und der Frage, was denn schlimmer sei. Beides ist Betrug, sowohl mit der einen wie mit der anderen Methode erschleicht man sich einen Vorteil. Inner Ring hat dazu einen hervorragenden Artikel geschrieben und kommt zu dem Schluss dass Doping schlimmer ist. Doping-Substanzen können, und das ist der wichtigste Grund warum sie verboten sind, zu schweren Gesundheitsschäden und sogar zum Tod des Sportlers führen. Ein weiterer Grund ist, das Doping auch noch lange nachdem es eingestellt wurde wirkt. (Velonews, BBC).
Insofern ist die Verhältnismässigkeit vieler Anschuldigungen gegen Femke van den Driessche nicht mehr gegeben. Ein 19 jähriges Mädchen ist in schlechten Einfluss geraten (Ihre Eltern, Mist) und war so dumm und hat sich erwischen lassen. Eine zwar volljährige aber vielleicht noch lange nicht erwachsene Nachwuchsfahrerin hat ein Rad in der Wechselzone gehabt, in dem ein Elektro-Motor eingebaut war. Und deshalb soll der Radsport als ganzes Schaden nehmen und wurde der Lächerlichkeit hingegeben? Im Ernst? Jemand hat sich nicht an die Regeln gehalten, wurde erwischt und wird nach Abschluss der Untersuchungen entsprechend bestraft werden. Viele fordern jetzt eine lebenslange Sperre. Fragt sich für wen? Für Femke? Für ihren Vater? Den Mechaniker? Die Kanarienvögel?
Ich bin kein Anhänger von Fundamentalismus und drakonischen Strafen. Beides führt zu nichts. Auch wenn hier noch nicht einmal der Ansatz eines Zweifels besteht, das Elektromotoren in Radrennen nichts zu suchen haben und der Einsatz gegen alle sportlichen Werte und Regeln verstößt, muss man doch die Kirche im Dorf lassen und sagen: "Es ist nur Sport!" Unser Leben ist voll von Regelverstößen, es wird zu schnell und über rote Ampeln gefahren, Steuern hinterzogen, Intrigen im Büro gesponnen, Spesenabrechnungen frisiert, Ehepartner werden betrogen, Fotos retuschiert, Filmstars Schönheits-operiert und ja, im Sport wird gedopt. Lug und Trug und Fake wohin man schaut. Das war schon immer Teil des Spiels und wird es auch immer bleiben. Menschen sind nun mal in einem ständigen Konkurrenzkampf um Anerkennung und Erfolg, besonders und vor allem im Sport. Wer sich dem Wettkampf stellt hat für diese Konkurrenz Situation ein besonderes Faible, denn darum geht es ja, besser zu sein als Andere, zu gewinnen. Höher, schneller, weiter.
Eine wichtige Charakter Eigenschaft von Sportlern ist der Ehrgeiz. Ohne den wird man nicht weit kommen. Da ist es unvermeidlich, dass ab und an auch einige Individuen auf der Spielfläche erscheinen die ein Übermaß an Ehrgeiz an den Tag legen und "mit allen Mitteln" gewinnen wollen. Das können sowohl Sportler, wie auch Trainer und Eltern sein. Das nicht zu erwarten wäre einfach nur unrealistisch. Wenn Sportler die Regeln brechen, egal auf welche Art, müssen die Sportverbände mit ihren Kommissären und die Anti-Doping Organisationen dem Einhalt gebieten. Energisch und nachhaltig. Aber es kann keine Lösung sein diese Menschen bei einem ersten Verstoß mit einer lebenslangen Sperre einfach auszusortieren. Das wäre zu einfach. Wie im Strafrecht sollte auch der Sport auf die Rehabilitierung abzielen. Zumindest ist das der gesellschaftliche Konsens in Mitteleuropa. Es gibt andere Länder, in denen Straftäter weggesperrt werden oder die Todesstrafe fürchten müssen. Das halte ich nicht für erstrebenswert.
Bei all denen die jetzt nach der Ultima Ratio rufen und eine drakonische, lebenslange Sperre für Femke van den Driessche fordern frage ich mich, ob die sich immer 100%ig an jede Regel gehalten haben? Nie in einem Radrennen den Kreisverkehr falsch herum gefahren sind, immer ein Rad am Start haben das mit allen UCI Regeln übereinstimmt, nie beim Zeitfahren kurz in den Windschatten des zu überholenden Fahrers gefahren sind, nie eine sticky Bottle gereicht bekommen haben. Sehr vehement hat übrigens Herr Merckx eine lebenslange Sperre gefordert, wie war das noch mal gleich mit dem Glashaus und den Steinen?
Links:
Mehr zu lesen zu dem Thema unter anderem auf
cyclingtips z,B.: hier (Pro Life Time Ban), hier, hier und hier
inner ring hier und hier
Schöner Bericht, aber lebenslange Sperre, weil sie als Belgierin, nicht auf einen Velo von Eddy Merckx unterwegs war (?)
AntwortenLöschenDa soll der Kannibale erst mal drüber schlafen und dann seine Sattelhöhe korrigieren.
Guter Bericht!
AntwortenLöschenTrotz allem würde mich als gescheitertem Maschinenbauer die technische Umsetzung interessieren... Und die wirkliche Funktionsweise. Über Strafe, etc. sollen andere urteilen...
AntwortenLöschenHier sind zwei Hersteller von denen ich weiss:
Löschenhttp://typhoonbikes.com
http://www.vivax-assist.com
Problematisch ist es wohl wenn die Motoren in nicht speziell designte Rahmen eingebaut werden. Der Motor muss ja im Unterrohr fixiert werden, das dann den ganzen Drehmoment aufnehmen muss. Da kann der Rahmen schon mal den Geist aufgeben.
Die erste Adresse lautet http://www.typhoonbicycles.com. Der CEO dieser Firma war die Woche im Interview im cyclingnews Podcast https://www.acast.com/cyclingnews.
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