Dienstag, 4. April 2017

Ein Ausflug nach Ostbelgien

Trotz bestem Wetter habe ich einen der vergangenen Samstage im Auto und auf einem Stuhl in einem Sitzungssaal verbracht. Zum ersten Mal überhaupt war ich in Ost-Belgien, bei der Deutschsprachigen Gemeinschaft. Diese umfasst etwa 80.000 Personen, das sind weniger als die 110.000 Einwohner des Landkreises Merzig-Wadern. In dem Zusammenhang interessant: Der Wikipedia Artikel über Belgien und über die Deutschsprachige Gemeinschaft, oder kurz DG. Die Vielfalt an Verwaltungsstrukturen und Sprachgemeinschaften ist beeindruckend, übrigens genauso wie die Landschaft der Eifel und des hohen Venn, durch die wir von Trier aus kommend gecruised sind (A60, E42, N629). Da könnte man durchaus mal zum Urlaub und zum Radfahren hin!

Aber zurück zu dem Grund der Reise. In Eupen fand der dritte Mediprosport Kongress statt. Fünf Vorträge zu Themen des Sports standen auf dem Programm. Mediprosport ist ein Sportkompetenzzentrum, in dem Trainer, Sportwissenschaftler, Ernährungsexperten, Osteopathen, Physiotherapeuten und Sportärzte zusammen arbeiten, um Sportlern jeder Leistungsklasse ein optimales Umfeld und Unterstützung zu bieten. Tolles Projekt. Wow. Details hier.


Die Veranstaltung fand im Ministerium der Deutschsprachigen Gemeinschaft statt. Die Grußworte sprach Kurt Rahmes, der Fachbereichsleiter Sport, Medien und Tourismus der DG.

Die Vorträge dauerten jeweils rund eine Stunde, gefolgt von einer kurzen Fragen und Antwort Session. 

Das erste Thema war Medikamentenmissbrauch und Doping - Zusammenhang und Präventionsstrategien in Sportverbänden. Ohne Frage ein wichtiges, interessantes und vielschichtiges Sujet. Leider war der Vortrag das genaue Gegenteil - ungenau, undifferenziert und nichtssagend. Frau Rogowski, eine langjährige Doping-Kontrollerin und in der Doping-Prävention engagiert, kam zwar nicht umhin mehrmals zu erwähnen wieviel Ahnung sie von der Materie hat und dass sie den ganzen Tag darüber referieren könnte, hat sich aber darauf beschränkt, ihre handwerklich schlechten Power Point Folien vorzulesen. Ab und an gab es eine Folie mit "Beispielen", das waren Zeitungsausschnitte mit Schlagzeilen oder Bildern überführter Dopingsünder. Bis auf eine einzige Leichtathletik Schlagzeile wurden ansonsten nur Radsportler genannt. Das war voreingenommen und verzerrend. Als ob das alles noch nicht schlecht genug gewesen wäre, wurden auch noch wesentliche Informationen verschwiegen. 
1982 fragte der US Amerikanische Arzt und Publizist Goldmann erstmals Hochleistungssportler, ob sie Medikamente nehmen würden, die ihnen eine olympische Goldmedaile sichern, im Gegenzug aber ihre Lebenserwartung um fünf Jahre reduzieren würde. Die Studie wurde bis in die 90er Jahre mehrmals wiederholt und hat als Goldman-Dilemma Eingang in die Literatur gefunden. Das Ergebnis war immer gleich: Etwa die Hälfte der Athleten würde dopen. Dies bewegt sich etwa auf gleicher Höhe wie das Resultat einer anonymen Umfrage der WADA 2011 bei den Leichtathletik Weltmeisterschaften und den Pan-Arab Spielen: 29 bis 45 Prozent der Sportler gaben zu gedopt zu haben (NYTimes). Im Vergleich dazu sind 2% positiven Proben natürlich lächerlich und werfen viele Fragen über die Dopingprävention und -Kontrolle auf. Frau Rogowski hat zwar die Fragestellung von Goldman erwähnt, erweckte jedoch den Eindruck, dass es darauf keine Antwort gibt. Schade. An dieser Stelle hätte man die vielfachen Abhängigkeiten und Zwänge des Leistungssports aufzeigen können, statt wohlfeil auf Etik und Moral zu verweisen. 
Gegen Ende wusste ich dann nicht, ob ich lachen oder weinen sollte: Ein Fussballer meinte doch tatsächlich, das Doping in seinem Sport nichts bringt (Taktik, unterschiedliche Anforderungen, Schnelligkeit, blablabla) und dass sowieso das Risiko viel zu hoch wäre einen Spieler, der zig Millionen wert ist, zu dopen. Denn wenn dieser auffällt, so seine Argumentation, wäre zu viel Kapital "futsch". Ahhhh ja. Diese Phase des Leugnens hatt der Radsport ja zum Glück überwunden. Und noch eines zum Schluss, Frau Rogowski, die Sportart heisst Radsport, nicht Fahrradfahren!

Der Rest des Tages war dann aber umso besser. Als nächstes sprach Dr. med Ursula Hildebrandt von der Deutschen Sporthochschule in Köln. In ihrem Vortrag ging es um Infektanfälligkeit und plötzlicher Herztod im Sport. Zunächst wurden verschiedene krankhafte Veränderungen des Herzens erklärt und gegen das Sportlerherz abgegrenzt. Letzteres ist eine durchaus anzustrebende Veränderung, nimmt doch das Schlagvolumen zu, der Puls sinkt und das Herz wird allgemein kräftiger. Krankhafte Veränderungen des Herzens sind bei ansonsten gesunden und Leistungssport betreibenden Personen gar nicht so einfach zu diagnostizieren und können schnell lebensgefährlich werden. Frau Dr. Hildebrandt konnte anhand einiger Beispiele aus der Praxis die Gefahren von übergangenen Erkältungen deutlich aufzeigen. Man muss sich immer vor Augen führen, dass sich das Herz nie ausruhen kann. Tag und Nacht, Jahr ein Jahr aus muss es Blut durch unseren Körper pumpen. Mal schneller, mal langsamer, aber immer ohne Pause. Umso wichtiger ist es, dem Herz bei Infekten keinen zusätzlichen Stress zuzumuten. 
Unser Körper kämpft ständig gegen Eindringlinge wie Viren oder Bakterien und muss nach körperlicher Anstrengung wieder "aufräumen". Das alles wird von unserem Immunsystem erledigt, dessen Ressourcen nicht unbegrenzt sind. Wenn sich mehrere Fronten auftun, sagen wir ein Virusinfekt und die Belastung durch körperliche Anstrengung, kommt die Abwehr an einer der beiden Fronten oder sogar an beiden zu kurz. Viren haben dann freie Fahrt und das Herz kann Schaden nehmen. Diese Schäden können schwerwiegend sein und unter Umständen lebenslange Beeinträchtigungen nach sich ziehen oder sogar zum plötzlichen Herztot führen.
Aus dem Vortrag von Dr. Hildebrandt habe ich zwei Dinge mitgenommen. 
Erstens: Niemals trainieren oder sogar Wettkämpfe bestreiten wenn man krank ist! Man wird weder eine Leistungssteigerung noch gute Resultate erzielen. Darüber hinaus verliert man bei einem Trainingsausfall von einigen Tagen, und nicht länger dauert ein normaler Infekt, nur wenig Form. Krank trainieren lohnt niemals!
Zweitens: Hausärzte können die Anforderungen an Sportler nicht immer abschätzen. Es ist ein großer Unterschied ob ein Arzt einmal im Monat einen Leistungssportler vor sich hat oder ausschliesslich solche behandelt. Das gilt auch für niedergelassene Sportärzte, die auch, aber nicht nur Sportler behandeln. Daher empfiehlt es sich unbedingt Sportmediziner an den Universitäten zu konsultieren. Im Gegensatz zu niedergelassenen Ärzten können sich diese auch mal eine Stunde mit dem Patient unterhalten und dann natürlich bei weitem bessere Diagnosen stellen.


Danach sprach Dr. Phil. Sabrina Skorski von der Universität des Saarlandes über Regenerationsmanagement im Leistungs- / Spitzensport: Verletzungsprophylaxe und Nachsorge, Maßnahmen und Wirkungsweisen. Die Schwierigkeit im Regenerationsmanagement besteht bereits darin, die Ermüdung überhaupt erst zu quantifizieren. Alle Versuche der Sportwissenschaften einen Bio-Marker zu finden, anhand dessen Vorkommen oder Höhe man sicher den Grad der Ermüdung bestimmen kann, führen meist zu mehrdeutigen Ergebnissen. Im besten Fall gibt es für Teilbereiche statistisch leicht positive Zusammenhänge. Aber keiner der diskutierten Werte (z.B. Harnstoff, CK, Entzündungsparameter, Hormone) lässt eine eindeutige Messung der Ermüdung zu. 
Interessanterweise ist der zuverlässigste Wert immer noch die subjektive Einschätzung des Athleten. Zentral ist dabei der RPE Wert (Rate of perceived exertion), gemessen in der Regel nach der Borg (6-20) oder Foster (0-10). Gewichtet man diese mit der Trainingsdauer erhält man den Session RPE, ein sehr valider Wert, wenn nachhaltig erfasst. Zusätzlich gibt es eine Reihe von Fragebögen (EBF nach Kellmann, Hooper Index) mit denen sich das Empfinden der Sportler standardisiert erfassen lässt. Ein Leitsatz den Dr. Skorski dabei zitiert hat und der auf viele Bereiche im Sport und im Leben zutrifft war: "Do it simple - But do it well!"
Im zweiten Teil des Vortrages ging es um verschiedene Regenerationshilfen, insbesondere um die gerade sehr populäre Eistonne. Auch hier sind Effekte oftmals individuell. Bei manchen Sportlern wirkt es, bei anderen nicht. Ein genereller Trend ist nicht auszumachen. Wenn ein Sportler eine Maßnahme für sich als positiv bewertet, kann das durchaus an einem Placebo Effekt liegen, wogegen aber nichts einzuwenden ist. Denn auch Placebo wirkt, wenn auch auf andere Art und Weise.
Wenn es um Regeneration geht, darf Schlafen natürlich nicht fehlen. Das Thema wird ziemlich gehypt und alle möglichen Gadgets versprechen Hilfe und besseren Schlaf. Dr. Skorski hat eindringlich versichert, dass das alles Quatsch ist, vor allem Smartphone Apps, die irgendwelche Schlafphasen messen wollen. Denn auch hier gilt: "Do it simple, but do it well". Regelmäßige Schlafenszeiten in dunkler und kühler Umgebung, viel mehr braucht es nicht. 

Nach der Mittagspause hat Dr. Patrick Wahl von der Deutschen Sporthochschule Köln mit dem Vortrag Ausdauertraining - Dauer versus Intervallmethode für einige Denkanstöße in der Trainingsgestaltung gesorgt. Der übliche Trainingsaufbau folgt einer Pyramide. Viel Grundlage, weniger Tempo, wenig Schwelle, ein bisschen Spitzenbereich. Rücklickend hat man aber herausgefunden, dass viele Topathleten einem eher polariserten Ansatz folgen: 70 % Grundlage, 10% mittlere Intensität und 20% HIT. Wobei HIT Intervalle nicht länger als fünf Minuten dauern. 
Diese zunächst erstaunliche Trainingsverteilung begründet sich wissenschaftlich folgendermaßen: Sportliche Leistung kann durch verschiedene Faktoren limitiert sein. Im Radsport zum Beispiel durch die Muskulatur oder das Herz-Kreislaufsystem (neben anderen). Die Muskulatur und der ganze Bewegungsapparat passt sich der Radsport spezifischen Belastung am besten durch lange Grundlageneinheiten an. Das Herz-Kreislauf System wird aber ideal dadurch trainiert, indem man ihm richtig Arbeit gibt und es auf vollen Touren laufen lässt. Eine sehr intensive Belastung nahe des persöhnlichen Maximums lässt sich natürlich nur kurz aufrechterhalten, zuwenig für ein effektives Training. Eine kurze Pause reicht aber bereits um ein weiteres Intervall zu fahren usw. Ein "beliebtes" Muster ist etwa 20 x (30''on/30''off). Am Ende dieser 10 Minuten wird der durchschnittliche Puls deutlich über dem Wert liegen, den man über 10 Minuten konstanter Belastung erreichet hätte. Der große energetische Stress dieser Übung führt zu hohen Anpassungsreaktionen zum Beispiel des Schlagvolumens des Herzenz und des VO2max Wertes. HIT verbessert somit nicht nur die Leistungsfähigkeit in eben diesen Bereichen sondern auch gerade die Ausdauer- und Schwellenleistung.



Den Abschluss des Tages übernahm Martin Zawieja von Langhantelathletik.de. Dabei ging es um Krafttraining - Begründung, Durchführung, Risiken. Herr Zawieja hat ausführlich erklärt warum gerade das Training mit der Langhantelstange für viele Sportarten von grossem Nutzen ist. Genau wie HIT das Herz-Kreislaufsystem in besonderer Weise fordert und durch den hohen Stress  effektiv ist, führt ein Kraftraining mit hohen Belastungen zu ausgeprägten Anpassungen des Bewegungsapparates: Knochen werden fester, Sehnen und Bänder stabiler. Der Körper kann Fehlbelastungen besser auffangen oder gar nicht erst entstehen lassen. Der komplexen Bewegungsausführung in der Langhantelathletik kommt dabei besondere Bedeutung zu, da hier nicht einzelne Muskeln, sondern ganze Bewegungsketten trainiert werden und zusätzlich hohe motorische Anforderungen bestehen. Von herausragender Bedeutung ist dabei die korrekte Ausführen der Übungen (Kniebeuge, Kreuzheben etc.), ansonsten kann es schnell zu schwerwiegenden Verletzungen kommen.
Martin Zawieja plädiert eindringlich dafür, mit dem Erlernen der Bewegungsabfolge mit der Langhantelstange schon im Kindertraining anzufangen. Am Anfang wird das nur ein Besenstiehl sein, später können dann minimale "Gymnastik-Gewichte" hinzukommen. Das alles soll spielerisch erfolgen und besonders aufgebaut sein, denn natürlich sind Kinder keine kleinen Erwachsenen, denen man einfach ein kleines Erwachenenprogramm verpasst.
Aber auch im späteren Leistungs- und Hochleistungstraining geht es natürlich nicht darum, aus jedem Sportler einen Gewichtheber zu machen, sondern einen funktionalen Beitrag zu dem jeweiligen Sport zu leisten.
Der Vortrag von Herrn Zawieja war auf jeden Fall sehr interessant, anregend und kurzweilig, wenn sich in Zukunft nochmal eine Gelegenheit ergibt ein Langhantelathletik Seminar zu besuchen, werde ich wohl nicht zögern.

Die Veranstaltung war ohne Fehl und Tadel organisiert. Es gab Kaffee, Getränke, Kekse und für fünf Euro ein Mittagessen. Gekostet hat der ganze Spaß 40 Euro (incl. Mittagessen), was in Anbetracht der wirklich hochkarätigen Vorträge und der überschaubaren Teilnehmerzahl unbedingt als Schnäppchen zu bezeichnen ist. Ich hoffe auf eine weitere Veranstaltung im nächsten Jahr und vielleicht ergibt sich dann die Gelegenheit, den Aufenthalt auf ein paar Tage mehr auszuweiten und  Ostbelgien mit dem Rad zu erkunden.





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